Mittwoch, 11. März 2015

Berge versetzen









Der Glaube ist es schon lange nicht mehr, der Berge versetzen kann – spätestens seit ich gelernt habe, dass so vieles „nur Placebo“ ist (also nichts außer Einbildung), Hoffnung in Wirklichkeit Illusion bedeutet, ich überhaupt nur noch glauben darf, was ich sehe (oder zu sehen meine oder was andere für mich schon vor-gesehen haben), brauchen sich auch die kleinsten Maulwurfshügelchen nicht mehr vor mir zu fürchten.
Währenddessen türmen sich wahre Faltengebirge vor mir auf, da wirken geologische Kräfte, die schieben und zerren, strömen und stocken: Ich meine die geheimnisvollen Kräfte der Sprache. Wenn es ganz schlimm kommt, heißt das Shitstorm, zumindest im Netz; was da so impulsiv wie unprofessionell, so heftig wie ungerecht über Menschen ausgegossen wird, ist allerdings nicht nur die schockierende Momentaufnahme, von der man besonnen Abstand halten könnte – nein, längst sind weite Bereiche von solchen sprachlichen Wallungen ergriffen. Früher lasen wir die Bild-Zeitung nicht, weil sie alles so plakativ verbrät und verkürzt; heute spießen uns von überall solche holzschnittartigen Formulierungen ins Auge, die distanzlos behaupten, verängstigen, vergrößern, verkleinern und eben ständig bewerten – und das zur Normalität gekürt haben. Von solcher Vorverdauung bis zum Shitstorm ist es schon rein physiologisch gar nicht weit, fällt mir gerade auf. Und das eigentlich Schlimme ist, dass das Zusteigen auf diesen fahrenden Zug so unheimlich einfach geht und wohl auch gewollt ist: Wenn mir eine Zeitung wie die Rheinische Post eine „Anti-Putin-Truppe“ in ihrer Headline anbietet, soll ich das als eine elegante Lösung akzeptieren, womöglich sogar als deutsche Heldentat begrüßen.
Zumal ja der wirkliche Weltuntergang von woanders her kommt, nämlich aus dem Reich der Unterhaltung: Wenn der Sieger der ESC-Vorauswahl für Deutschland in letzter Sekunde zurücktritt und sämtliche medialen Zeigefinger auf ihn gerichtet sind, dann „darf“ ich ihn natürlich auch mobben. Das Gebrüll ist irgendwie wieder salonfähig geworden oder zumindest dabei, es zu werden. Das Wort Krieg wird erschreckend gern benutzt – hatten wir nicht mal eine Friedensbewegung? – und zwar auch als militärischer Begriff für zum Teil ganz unmilitärische Sachverhalte: Die ZEIT textet, wenn Eltern nicht impfen, zögen sie in den „Impf-Krieg“. Meine Frage: Wie zieht man passiv in den Krieg? Das wäre für mich eher die Quadratur des Kreises … die merkwürdigerweise so wenig auffällt, aus dem Rahmen fällt. Es wird geschluckt und geschleckt, was uns da an Sprach-Schnellfress aufgetischt wird.
Und ich ertappe mich: Auch ich glaube da manches, was ein halbwegs intelligenter Mensch mir vor-geschrieben hat. Es bleibt mir ja auch nicht viel anderes übrig, denn ich kann nicht gleichzeitig an zwei Orten in der Welt sein, geschweige denn an allen. Aber es gibt Unterschiede: Wo wird Sprache benutzt, um einigermaßen sachlich zu berichten, wo befeuert sie Emotionen, wo versetzt sie Berge – im Sinne eines zerstörerischen Erdbebens? Welche Vokabeln sind es, die der Achtsamkeit und Besonnenheit entgegen wirken? Warum habe ich das Gefühl, dass die Sprache in eine ungute Richtung gleichsam galoppiert – nie hatte ich den Eindruck einer so schnellen Sprachveränderung wie heute?
Und da kann ich – als Künstlerin und Autorin – einfach nur zum genaueren Hinschauen appellieren. Man muss nicht alles kritisch durch den Wolf drehen, aber unkritisches Vereinnahmenlassen geht auch nicht, das würde der Demagogie, die ich schon manches Mal „trapsen“ höre, Tür und Tor öffnen. Und glauben ist überhaupt so ein Begriff. Wenn ich glauben darf, um Berge, die mein Seelengebirge sind, zu versetzen, ist das okay. Wenn ich aber alles glauben soll, was mit seinen sprachlichen Mitteln ein Beben hervorrufen will, bin ich ganz schlecht beraten.



Marlies Blauth







2 Kommentare:

Iris hat gesagt…

Daumen hoch für diesen Beitrag.

Marlies Blauth hat gesagt…

Vielen Dank, Iris.