Freitag, 13. März 2015

Feuersalamander










Lurchi



Tiergeschichten, merke ich gerade, habe ich bisher selten oder nie gebloggt.

Die Begegnung mit Lurchi hat es allemal verdient, erzählt zu werden. Sie fiel mir ein, als eben bei facebook jemand Fotos von Froschweihern im Schwerter Wald postete – einem Waldstück, das sich auf der Grenze zwischen dem Süden Dortmunds und der benachbarten Kleinstadt Schwerte befindet.

Ganz in der Nähe dieses Waldes wurde ich geboren (und getauft), wurde natürlich im Kinderwagen über seine Wege geschoben und lernte Schrittchen für Schrittchen seine Flora und Fauna kennen; dann zogen wir um, aber nur an die andere Seite des Waldes, so dass er mir erhalten blieb und ich ihn bald kannte „wie meine Westentasche“ (das heißt ich hatte nie eine). Man hätte mich irgendwo aussetzen können, ich hätte sofort nach Hause gefunden.
Gesehen habe ich Frösche, Kröten, Molche, Blindschleichen und auch Feuersalamander. Meine Mutter behauptete energisch, nein, in dieser Gegend gäbe es keine Salamander, da hätte ich mich geirrt (ich nehme fast an, sie meinte Eidechsen – für die wäre der Schwerter Wald wohl wirklich nichts gewesen). Aber natürlich erinnere ich mich genau an die kleinen Kerlchen in den Dortmunder BVB-Farben. Und so, als wollten sie zeigen, dass sie sehr wohl „in dieser Gegend existieren“, zwangen sie meine Mutter eines Tages regelrecht, sie als Haustiere zu halten.

In meinem Elternhaus gab es einen Eingang zum Keller, der mit seiner Ausrichtung nach Nordosten immer etwas glitschig-schattig war. Im Ablauf oder Abfluss, in der Ecke vor der Eingangstür, stand im übrigen immer etwas modriges Wasser, grau und ein bisschen fies. Genau diesen – aus Menschensicht – unwirtlichen Mini-Teich suchte sich irgendwann eine Feuersalamanderfamilie als Lebensraum aus. Als meine Mutter den ersten Schwarzgelben entdeckte, glaubte sie natürlich, er sei unfreiwillig an diesem wenig attraktiven Ort und „rettete“ ihn, brachte ihn zum Bach in der Nähe. Aber bald war er wieder zurück, und meine Mutter fand dazu noch seine? ihre? stumpf-grauen Kinderlein, die in diesem komischen Zuhause darauf warteten, größer und hübscher zu werden. Und seitdem saß eigentlich immer ein Feuersalamander im Abfluss. Wir schlossen daraus: Die wollen da sitzen, finden das schön. Das ging schätzungsweise zehn Jahre so. Meine Mutter mit ihren Feuersalamandern: Manchmal berichtete sie, wie groß die Familie gerade war, dann wieder machte sie sich Sorgen, weil es in diesem dummen Kellereingang doch eigentlich nichts zu fressen gab, zumindest aus Menschenperspektive nichts, fragte sich und mich, wie die Viecher dort dermaßen lange überleben könnten. Natürlich wusste ich das auch nicht.

Schließlich war meine Mutter alt und starb; und als ich ihr Haus startklar für einen neuen Besitzer machen musste, fiel mir im letzten Moment noch Lurchi ein, der traurig in seinem Abfluss hockte. Konnte man denn sagen: Achtung, da ist ein Lurch im Abfluss, gehen Sie bitte lieb mit ihm um? Klingt doch etwas – hm, skurril, oder? Und wenn man nichts sagt … dann kriegt das Kerlchen den Bauschutt der Renovierungsmaßnahmen auf den Kopf geschaufelt. O nein. Also: Lurchi musste mit. Weit weg von seinem Tümpelchen, damit er nicht auf die Idee kam, den Rückmarsch anzutreten. Ein Eimer stand bereit, gepolstert mit feuchter Erde und Moospflanzen, Lurchi wurde sanft hineingesetzt, ein Geschirrtuch zum luftdurchlässigen Deckel an den Ecken verknotet. Und dann fuhren wir mit dem Zug, der Salamander und ich – bis an den Rhein.

Eine befreundete Journalistin schrieb dann einen herrlichen kleinen Zeitungsartikel über das Tierchen, verbunden mit dem Aufruf, wer ein amphibiengeeignetes Biotop habe, möge sich doch bitte melden. So war es dann. Wir brachten Lurchi hin, sahen ihn im Schatten verschwinden, für immer, sozusagen – und hoffen, dass er einen neuen Abfluss, ganz nach seinen Vorstellungen, gefunden hat.






Marlies Blauth



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