Kritische Masse
Was, in drei Teufels Namen, mobilisiert den Menschen immer und immer wieder, an allem, was andere tun,
lauthals Kritik zu üben? Und zwar atemberaubend schnell und unüberlegt, was
gern mal mit „Authentizität“ oder „Unbefangenheit“ oder auch „Humor“ schöngeredet
wird?
Das war schon lange so, lange vor Facebook und Twitter und
überhaupt der Versuchung, etwas Authentisches in die Tasten zu kloppen und in
Nullkommanix durchs Netz zu schicken. Dem
Tummelplatz für kleinliche, spießige, fiese, destruktive (… usw.) kritische
Äußerungen. Aber wie gesagt, es klappte auch vorher schon gut. Jemand äußerte
mal, ungefragt natürlich, in meinem Gärtchen, das sei ja kein Rasen, sondern
eine Wiese. Mir war das eigentlich
egal, nur das wahrnehmbare Naserümpfen dann doch nicht so ganz: Es war weder
nett noch in irgendeiner Weise konstruktiv gemeint.
WARUM entwickelt man überhaupt so dämliche
Kommunikationskiller? Das frage ich mich seit Kindheitszeiten. „Du-kannst-ja-keine-Kritik-vertragen“,
schallte es zurück. Do-hoch, kann ich. Es war mir immer klar, dass man sie braucht,
dass man tatsächlich nicht ohne sie auskommt! Auch dann, wenn man im ersten
Moment schlucken muss. Verdammt, falsche Orthografie. Blöd, ich hab‘ mich
missverständlich ausgedrückt – und so weiter. Es ist eben, bieder gesprochen,
noch kein Meister vom Himmel gefallen. Und jede konstruktive Kritik bedeutet,
einen Schritt weiterzurücken in Richtung Meisterbrief.
Wenn ich allerdings nie vorhatte, mich als Rasenfachmann auszuweisen
oder eine englische Rasenweltmeisterin zu werden, hat „Kritik“ da nichts
verloren. Ich habe weder die Muße noch das Ziel, jedem einzelnen Gänseblümchen
den Kampf anzusagen. Warum denn auch?
Ach ja, es ist eine Geschmacksfrage;
ganz genau. Der eine so, der andere so. Es dürfte hinreichend bekannt sein,
dass es so ist: Für den einen ist Ziegenkäse eine Delikatesse, für den anderen
schaurig. Ich erinnere mich an ein „Tischgespräch“ in der Mensa zu Beginn
meiner Studienzeit: Da hatte ich mir eine fröhliche Sammlung Beilagen
zusammengestellt und startete mit dem Obstsalat. Meinen biederen Tischgenossen
missfiel das alles, sie stocherten ständig verbal in meinem Essen herum,
natürlich nicht ohne kritisch zu bemerken, dass meine Auswahl ja vegetaaaarisch
war.
Der Motor für dies alles ist wohl das wunderbare Augenblicksgefühl, Macht
über jemanden ausüben zu können. Vielleicht würde man genau dem Menschen, dem
man einen Verbalpieks verabreicht, am liebsten realiter mit einer Nadel
irgendwohin zwacken und transponiert es nun auf die – etwas abstraktere –
Sprachebene. Es gibt ganz sicher genügend psychologische Abhandlungen über diese
Alltags-Machtgelüste (ich bin jetzt zu faul zum Suchen), interessant finde ich
vor allem, wie oft sie angewendet werden. Und, wie gesagt, das Internet
schluckt dankbar alles: Wir werden immer unkultivierter.
Ein bescheuertes Posting zu einem – wohl etwas unkonventionellen
(ich konnte ihn nicht verfolgen, ich war hier) – Pfingstgottesdienst im
Fernsehen brachte mich auf den Gedanken, ein paar Assoziationen aufzuschreiben.
Bescheuert war der Beitrag deswegen, weil er kleinlich und der Sache völlig undienlich
war. Wie es eben immer so ist. Man hackt auf einer Sache herum, weil sie einem
nicht „geschmeckt“ hat, und bewegt doch nichts
damit. Und im kirchlichen Umfeld wirkt das eben besonders blöd. War es nicht ein Geist, der die Menschen trotz
verschiedener Muttersprachen zusammen führte? Oder sollte man nicht sogar
schreiben: IST es nicht ein Geist … den wir anscheinend permanent wegschieben,
abweisen, weil wir ja alles besser wissen und können?
Ich bekam kürzlich eine Mail von völlig unvermuteter Seite: Mein
Bild in einer Gemeinschaftsausstellung sei das mit Abstand beste. Bei aller
Verwunderung, ich fand mein Bild völlig „unauffällig“, stellte sich vor allem
eines ein: Freude über solch ein Statement. Und ich rechne dem Absender
besonders hoch an, dass er den Mut hatte, sich zu melden – wo es doch en vogue
ist, an allem herumzumäkeln.
Was für tolle Kräfte durch positives Feedback freigesetzt werden
können! Jeden Tag ein freundliches, fröhliches Wort: DAS ist GEIST.
Frohe Pfingsten!
Frohe Pfingsten!
Marlies Blauth
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