Dichtungsring Heft 67 / Juli 2025
Hrsg. dieser Ausgabe: Susanne Schmincke, Sigune
Schnabel, Thomas M. Mayr
ISSN 0724-6412
Meine Gedichte Spiel der Nereiden, synchron verrückt, Spielanleitungen und
im Wald
▶ Alles, was mein künstlerisches Arbeiten betrifft.
Dichtungsring Heft 67 / Juli 2025
Hrsg. dieser Ausgabe: Susanne Schmincke, Sigune
Schnabel, Thomas M. Mayr
ISSN 0724-6412
Meine Gedichte Spiel der Nereiden, synchron verrückt, Spielanleitungen und
im Wald
auf der Rückseite:
der Reisholzer Hafen
der Weg von der Schiene
zum Wasser ist lang
wohin man
sieht Industriegebäude
– – – Parkplatzriesen – – –
Tanks Asphalt Rohre Röhren
aber die Straße wird dünner:
Brachflächen Stiftzahnbauten
verlorengegeben warten und
werden
hinter schütterer Ziegelwand
der schlafende Hafen
stillgelegt wie ein Traum
am Morgen
sein Restherzschlag hält
sich aufrecht
bis bessere Zeiten kommen
(doch merke: sie kommen nie
von allein)
ein wilder Baum sprengt die
Ehrwürdigkeit
nutzlos gewordener
Architektur
Mauerpfeffer und
Zimbelkräuter bewachsen
wie Jahresringe Spalten und
Risse
sie werden nicht bleiben
~ ein Schiff fährt langsam
vorbei ~
Spuren der Hafenbahn:
rostige Linien auf
Graspapier
doch glänzen die
Warnschilder neu:
Hafengebiet! Lebensgefahr!
der Fuhrpark nah nebenan
scheint frisch lackiert
im Mittagslicht
– leuchtendes Herz
implantiert
schlägt neuen Takt –
während ein paar Schritte
weiter
Fragezeichen
zerbrechliche Hafenhäuser
und -hallen besetzen
Kunstschaffende deren
Mietverträge
in welchem Zeitraum ~ wann ~
nicht mehr ~
Kunst schaffen können ||
zeichnen und feilen
messen und malen
sie haben Talmigebilde ans
Ufer gehängt
glitzernde Wegweiser
Sonnenfischzüge –
mit Blick auf die
Baumgiganten
und die sandigen Bänke
des Zonser Grinds
vielleicht ist das letzte
Schiff gelöscht
aber das Leben hier
nicht
es schlummert nur
schweigt
auf der lichten Seite des
Rheins
© Marlies Blauth
wie alte Weisheiten liegen
die Spiegelbilder der Bäume
vor uns
Aus: "in der
Dämmerung" ©Marlies Blauth
Das ist der Klappentext von
"morgens ein Atemzug Winter", einem Gedichtband von @marliesblauth,
der die Schönheit der Natur und der Gedanken feiert. Das Bild auf dem Einband
und die Illustrationen stammen von der Dortmunder Autorin selbst, die als
Dichterin und Künstlerin tätig ist. Folgt ihr, um Infos zu ihren Büchern und zu
ihren Ausstellungen zu bekommen.
Ein feiner, trockener Humor
schwingt in den Texten mit, ein tapferes Verharren gegenüber der
Vergänglichkeit, den Widersprüchen und dem Schmerz des Daseins. So umfasst zum
Beispiel die Überschrift "Krisenklima" (S.47) eine ganze Bandbreite
an Fragezeichen zum Thema, die dann im Gedicht entfaltet wird.
Mein Lieblingsgedicht ist
"Sonnenuntergang in der Nordstadt" (S.15). Mit wenigen, knappen
Pinselstrichen hält Marlies Blauth einen Moment fest, einen gefühlten Eindruck
von dem Kontrast zwischen Großstadt-Fassaden und dem Raum, den ein Garten bieten
würde.
Die Gedichte haben keine
Moral, keine Lehre, sondern sie schmiegen sich an die Realität mit ihrer
Zerrissenheit an. Bei einzelnen Texten wird diese Haltung durchbrochen. Dann
erhascht man einen Blick auf die Autorin und ihre Werte, so zum Beispiel in "der
Garten" (S.55) - ein Hausbau zerstört ein Stück Natur. Mit den Bäumen
stirbt ihr Geheimnis.
Geheimnisvolle Nereiden,
Nymphen und Dryaden tummeln sich in diesem Gedichtband, und es gibt ein
großartiges Brombeer-Gedicht, was mich persönlich sehr freut, weil ich
Brombeeren liebe und sie auch in meiner Fantasy vorkommen. Biografische Texte
dazwischen, behutsame Erzählungen von Nähe und Distanz.
Als Vergleich fällt mir am ehesten Reiner Kunze ein.
Sehr lesenswert!
"morgens ein Atemzug Winter" ist 2024 in der edition offenes feld erschienen, www.offenesfeld.de
auf Instagram
Als Die Rezension erschien ursprünglich auf Instagram und durfte hierhin übertragen werden (danke!).
Die Ausstellung HERBARIUM wird am Freitag, den 16. Mai 2025 um 19.30 Uhr eröffnet
Galerie Judith Dielämmer
Karl Oberbach-Straße 3
41515 Grevenbroich
Ausstellungsdauer: bis 8. Juni 2025
Öffnungszeiten: fr + sa 12 – 16 Uhr, so 14 – 16 Uhr