Freitag, 30. August 2019

Kriebelmücken










Winzige Wadenbeißer: Kriebelmücken

Eine informative Glosse


Kriebelmücken – das klingt nach harmlosem Kribbeln, nach kleinen freundlichen Verwandten der gemeinen Stechmücke, nach Bedeutungslosigkeit (komplizierte ökologische Vernetzungen mal ausgenommen).
Viele Kriebelmücken treten in unserem Alltag auch tatsächlich nicht in Erscheinung, zumal die Männchen nicht, denen es nämlich nicht beschieden ist, irgendeine Blutquelle anzapfen zu müssen. Die Weibchen sind da anders beschaffen: die müssen. Ist wohl wichtig für die Eiproduktion. Und lästig – für beide Seiten.
Denn die Tierchen müssen ihre Quellen insofern erschließen, indem sie sie buchstäblich aufsägen. Das passende Mundwerkzeug haben sie für diese Millimeterarbeit – wobei sie selbst nur etwa 3 mm klein sind. Umso erstaunlicher, dass sie in ihrer Winzigkeit einen ganzen „Tank“ voller Gift mit sich führen. Das kommt beim Sägebiss zur Anwendung, es lässt vermutlich die Wunde offen und die Quelle sprudeln, allerdings dauert die Prozedur nur wenige Sekunden. Spürt man Biss und Gift, ist das Insekt meist schon über alle Berge. Sieht man es doch einmal, erwartet man von dieser kleinen schwarzen Unscheinbarkeit jedenfalls keinen dermaßen wirksamen Giftcocktail: Kann ja eigentlich gar nicht.
Aber die Stelle auf der Haut rötet sich schmerzhaft und schwillt nicht selten handtellergroß an, auch bei Menschen, die eigentlich gegen nix allergisch sind (so wie ich). Bevorzugt wird, warum auch immer, Waden- und Fußnähe. So kann es passieren, dass einem für ein paar Tage der Schuh nicht mehr passt, weil die Schwellung so heftig ausfällt. Restlos abgeheilt ist alles erst wieder nach circa zehn Tagen.

Mich scheinen sie leider besonders zu mögen; ich nehme an, dass das an meiner überaus seltenen Blutgruppe liegt (die folglich auch von menschlichen Sammelstellen gern angenommen wird). Man kann ergoogeln, dass sich Kriebelmücken gern in Gewässernähe aufhalten, da sie ihre Eier ins Wasser ablegen; ob in fließendes oder stehendes, darüber gibt es unterschiedliche Erkenntnisse, und warum mich die Viecher regelmäßig in meinem Garten überfallen, wo es weder das eine noch das andere gibt, ist überhaupt ganz ungeklärt. Jedenfalls gab es in der letzten Zeit kein Jahr ohne Kriebelmückenbiss, ich kannte sie langsam, die geschwollenen Fladen-an-den-Waden. Desinfizierende Salbe und anderthalb Wochen Geduld. Okay. Einmal im Jahr, das überlebt man.

Unlängst erreichte ich allerdings einen deutlich höheren Level: Das Kriebelvieh, das mich während meines Urlaubs in Hessen annagte, war so bösartig, mir eine riesige Hautblase zu bescheren, die sich von einer Brandblase im Grunde nicht unterschied. So etwas hatte ich noch nie gesehen, und dieser plötzlich entstandene Fremdkörper am Körper bereitete mir so gruselig-unsichere Gefühle, dass ich erstmalig in meinem Leben einen ambulanten medizinischen Notdienst in Anspruch nahm. Abgesehen von dem kafkaesken Erlebnis, um ein ansonsten verlassenes, im Umbau befindliches Gebäude zu streifen, um überhaupt eine Menschenseele und im Besonderen eine medizinisch-ambulante aufzufinden, war auch die „Diagnose“ eine atemberaubende. Ich erfuhr nämlich, dass eine Kriebelmücke durchaus in der Lage ist, eine Kuh tot umfallen zu lassen. War meine prall gefüllte Hautblase jetzt so lächerlich, dass man mir verbale Cartoons auf Kassenrechnung servieren musste? Dazu wollte so gar nicht passen, dass ich nach zwei Tagen erneut in ärztliche Betreuung sollte, und auf meinem „Kassenzettel“ stand: Kontrolle unbedingt erforderlich (zwei Ausrufezeichen!!). Das Ganze verunsicherte mich noch mehr, statt mir eine gewisse Beruhigung zu verleihen. Google hatte mir bereits die Gefahr einer Blutvergiftung gemeldet, daher auch mein Besuch in diesem ambulanten Dings. Was mir aber nach wie vor schleierhaft war: Befand ich mich eigentlich im Normbereich mit meiner Riesenblase? Wie geht es weiter? Was muss ich beachten?


Den Arztbesuch nach zwei Tagen bekam ich so kurzfristig nicht, aber immerhin brachte ein Gespräch mit der freundlichen Sprechstundenhilfe die Erkenntnis, dass meine Kriebel-Version gar nicht selten vorkommt und dass das Ding auf meiner Heimfahrt vermutlich platzen würde (üblicherweise nach sechs Tagen). Das war nichts, was man ohne Weiteres per Google erfahren konnte, und bedeutete immerhin weniger Unsicherheit und mehr „Fahrplan“. Vor allem auch, dass erst dann die ärztliche Kontrolle nötig sein würde, während man jetzt, im geschlossenen Zustand sozusagen, darauf verzichten könne.

Die Heimreise verlief ohne besondere Vorkommnisse, obwohl die Blase inzwischen die Größe einer kleineren Tomate angenommen hatte. Was meine Seele etwas piesackte, denn es bestand die wundervolle Aussicht, dass durchaus auch eine Apfelgröße erreicht werden kann.
Zu Hause erlebte ich dann aber bald den Blasensprung, denn ich war ganz blöd vor ein Stuhlbein gestoßen. Aua. Endlich war dieser Druck weg, und ich musste tatsächlich dort, wo mein Fuß gestanden hatte, den Boden trockenwischen. 
Nun also begann die wirkliche ärztliche Kontrolle, ohne Ausrufezeichen, denn ich mach‘ so was freiwillig. Erleichterung, als die Vergiftungsgefahr gebannt war und der Heilungsprozess offenbar einen guten Verlauf nahm.
Nun sehe ich Land in Form von neuer rosiger Haut, ich bin aber noch absolut dünnhäutig: Berge von Verbandsmaterial, noch-nicht-richtig-Hinguckenwollen und Geduldigsein füllten meine letzten zwei Wochen.

Eigentlich wollte ich so eine Glosse wie diese erst schreiben, wenn alles verheilt ist. Aber das wird noch dauern. Beim nächsten Mal (ich reiße mich wirklich nicht drum …!) würde ich die Blase vielleicht früh öffnen lassen. Aber dazu braucht man die passende Praxis, und „so ganz ohne“ ist das wohl auch nicht. Immerhin wäre dann der Durchmesser kleiner geblieben.

Kürzlich hörte ich in einer Radiosendung, dass Parasiten wie die Kriebelmücke das Immunsystem (des Angezapften) angeblich stärken. Und dass ihre Larven notwendiges Fischfutter sind. Hoffen wir das Beste.


Marlies Blauth








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