Froschkönigin
Sie
kennen das Märchen vom Froschkönig: Da wurde ein – wie die etwas
heikle Prinzessin zu sagen pflegte – eklig-nasser Wasserpatscher,
dem sicher noch Wasserpflanzengeruch und Schlimmeres anhaftete, in
einen frisch geduschten, wohlriechenden Prinzen verwandelt.
Die
umgekehrte Geschichte gibt es natürlich auch, nur ist sie nicht so
schön. Stellen Sie sich vor, Sie möchten einen großen Brief zur
Post bringen, zu Fuß, weil es gar nicht weit ist. Eine echte
Prinzessin – oder Königin, wegen des schon vorgerückten Alters –
wartet natürlich, wenn sie denn schon selbst gehen muss, bis kurz
vor sechs Uhr (für alle Frösche: dann schließt die Poststelle).
Das Wetter ist den ganzen Tag schaurig gewesen, jetzt scheint, etwas schüchtern, die Sonne – wie schön.
Das Wetter ist den ganzen Tag schaurig gewesen, jetzt scheint, etwas schüchtern, die Sonne – wie schön.
Und
da will es das Schicksal, dass einige Dutzend Schritte vom Schloss
entfernt eine – motorisierte – Kutsche angefahren kommt und leider allzu nahe der Stelle, wo unsere Königin auf Querung der Straße wartet,
durch eine riesige Pfütze rast: etwa ein Zuber Wasser, man mag
lieber nicht daran denken, dass da eher keine Wasserpflanzen drin
sind (sondern alles andere), verwandelt die Königin schnurstracks in
eine Froschfrau. Deren Gequake nun beeindruckt den Kutschenlenker
leider überhaupt nicht; der gibt seinen Pferdestärken die Sporen
und düst um die nächste Ecke.
Unsere
Fröschin hüpft im Sechseck, das brackige Wasser läuft ihr über
Schultern und Bauch und Füße; Jeans und Jacke haben sich
märchenhaft schnell in klamme Amphibienhaut verwandelt. Der große
Brief, der auf die Post muss, ist zum Glück gut verpackt. Was aber
tun? In zehn Minuten soll die Postfiliale schließen. Nach Hause,
trocknen und umziehen? Dann bleibt auch der Brief erstmal zu Hause.
Nun, Frösche sind redlich (sie bringen ja auch goldene Kugeln
ehrlich zurück) – also.
Die
Blicke der Passanten sind, hm, gewöhnungsbedürftig. Die sehen sonst
keine Froschfrauen mit Briefen, das merkt man deutlich. Ein
rauchender Biertrinker, oder umgekehrt: Bier trinkender Raucher an
seinem Draußentischchen vor der Kneipe besitzt den nervigen Mut zu
fragen: „Biste in' Teich gefall'n?“, was er auf dem Rückweg noch
einmal mit einem breiten Grinsen unterstreichen muss, klar.
Nein,
kein Märchen:
Liebe
Autofahrer, es liegt in Eurer Hand, friedliche Fußgänger in Frösche
zu verwandeln – oder sie Mensch sein zu lassen, was eindeutig
besser ist. Bitte denkt beim nächsten Mal dran.
Marlies F. Blauth
Foto oben: © Andreas Blauth
Text: © Marlies Blauth
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