Donnerstag, 12. September 2013

[Glosse] Froschkönigin






Froschkönigin


Sie kennen das Märchen vom Froschkönig: Da wurde ein – wie die etwas heikle Prinzessin zu sagen pflegte – eklig-nasser Wasserpatscher, dem sicher noch Wasserpflanzengeruch und Schlimmeres anhaftete, in einen frisch geduschten, wohlriechenden Prinzen verwandelt.

Die umgekehrte Geschichte gibt es natürlich auch, nur ist sie nicht so schön. Stellen Sie sich vor, Sie möchten einen großen Brief zur Post bringen, zu Fuß, weil es gar nicht weit ist. Eine echte Prinzessin – oder Königin, wegen des schon vorgerückten Alters – wartet natürlich, wenn sie denn schon selbst gehen muss, bis kurz vor sechs Uhr (für alle Frösche: dann schließt die Poststelle). 
Das Wetter ist den ganzen Tag schaurig gewesen, jetzt scheint, etwas schüchtern, die Sonne – wie schön.  
Und da will es das Schicksal, dass einige Dutzend Schritte vom Schloss entfernt eine – motorisierte – Kutsche angefahren kommt und leider allzu nahe der Stelle, wo unsere Königin auf Querung der Straße wartet, durch eine riesige Pfütze rast: etwa ein Zuber Wasser, man mag lieber nicht daran denken, dass da eher keine Wasserpflanzen drin sind (sondern alles andere), verwandelt die Königin schnurstracks in eine Froschfrau. Deren Gequake nun beeindruckt den Kutschenlenker leider überhaupt nicht; der gibt seinen Pferdestärken die Sporen und düst um die nächste Ecke.
Unsere Fröschin hüpft im Sechseck, das brackige Wasser läuft ihr über Schultern und Bauch und Füße; Jeans und Jacke haben sich märchenhaft schnell in klamme Amphibienhaut verwandelt. Der große Brief, der auf die Post muss, ist zum Glück gut verpackt. Was aber tun? In zehn Minuten soll die Postfiliale schließen. Nach Hause, trocknen und umziehen? Dann bleibt auch der Brief erstmal zu Hause. Nun, Frösche sind redlich (sie bringen ja auch goldene Kugeln ehrlich zurück) – also.
Die Blicke der Passanten sind, hm, gewöhnungsbedürftig. Die sehen sonst keine Froschfrauen mit Briefen, das merkt man deutlich. Ein rauchender Biertrinker, oder umgekehrt: Bier trinkender Raucher an seinem Draußentischchen vor der Kneipe besitzt den nervigen Mut zu fragen: „Biste in' Teich gefall'n?“, was er auf dem Rückweg noch einmal mit einem breiten Grinsen unterstreichen muss, klar.

Nein, kein Märchen:
Liebe Autofahrer, es liegt in Eurer Hand, friedliche Fußgänger in Frösche zu verwandeln – oder sie Mensch sein zu lassen, was eindeutig besser ist. Bitte denkt beim nächsten Mal dran.


Marlies F. Blauth

Foto oben: © Andreas Blauth

Text: © Marlies Blauth






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