Freitag, 15. April 2011

Einführungsrede für INGEBORG HARTMANN KELLER






Norwegen. Tuschezeichnung von Ingeborg Hartmann Keller





Ingeborg Hartmann Keller – Erinnerung

in der Galerie Mönter/ Meerbusch-Osterath


Ganz herzlich begrüße ich Sie zu dieser Ausstellung – mit Bildern von Ingeborg Hartmann Keller.

Erste Vorbereitungen hatte es schon gegeben: Herr Mönter hatte sie in ihrem Atelier besucht, auf jeden Fall sollte eine Ausstellung stattfinden – nur einen festen Zeitpunkt gab es noch nicht. (Und wer Ingeborg kannte, weiß: Sie nahm am nächsten Tag nicht das Telefon, fragte nicht Wann?)
Als sie schon so krank war, dass sie nicht mehr arbeiten konnte, versprachen Hans Hartmann und ich ihr, an die Vorgespräche anzuknüpfen und dafür zu sorgen, dass die Ausstellung doch noch zustande kommen kann. Dafür sage ich herzlichen Dank an Herrn Mönter.

Leider erlebt Ingeborg die Vernissage hier nicht mehr.

Die Ausstellung ist also eine Erinnerung geworden.
Aber der Titel ist nicht nur in diesem Sinne entstanden, sondern will ein Hinweis sein auf einen künstlerischen Prozess. Wenn Ingeborg Hartmann Keller sich mit einem Objekt, mit einem Bildthema befasste, war es ein "Verinnerlichen": Durch eine wiederholte Auseinandersetzung mit dem Thema seien, so ihre eigenen Worte, die Bilder am Ende wie von selbst entstanden.

Die Schatzkammer ihres Ateliers bringt es, viel deutlicher als diese Ausstellung hier, zutage: Sie hat nicht nur mit ein paar Wiederholungen gearbeitet, sondern sich in Form zahlreicher Variationen aufgemacht in ein Thema. Ein Prozess, den man kaum adäquat beschreiben kann; ist er doch mit einer Art "Auswendiglernen", Repetieren verwandt (ohne es zu sein), während er gleichzeitig so meditativ wie kreativ-produktiv ist, weil er einer Entwicklung unterzogen ist. Dieser Bezug zur Zeit ist es vor allem, der bei ihren Variationen an Musik denken lässt. Es gibt also immer einen Beginn und einen Verlauf des "Konzerts" der Linien, Formen und Farben; das – so können wir noch zaghaft deuten – sowohl einer Partitur unterworfen sein muss als auch Improvisation nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich will.
Zurück zur Erinnerung: Erinnerungen sind, so ist bei Wikipedia zu lesen, komprimiert im Langzeitgedächtnis gespeichert. Dieses komprimiert gefällt mir, weil es die Arbeit von Ingeborg eigentlich schon gut beschreibt. Sie abstrahierte ein Objekt im Sinne einer zeichenhaften Essenz, sie schrieb, sozusagen, ein Objekt malerisch auf. Was innerhalb dieser künstlerischen Vita Ursache war und was Wirkung, ist unerheblich: Wir sehen, wie gut es passt, dass sich diese Künstlerin intensiv mit fernöstlicher Kalligrafie befasst hat.

Als ich die ersten Assoziationen zu diesem Vortrag sammelte, kam mir sehr schnell ein Begriff in den Sinn:  Unterwegs (sein). Denn Ingeborg Hartmann Keller war nicht nur in der halben Welt unterwegs und damit auch in verschiedenen Kulturen (sie hat bekanntlich in Rumänien, in den USA und in Thailand gelebt und gearbeitet), sie war nicht nur zeitlebens erfüllt vom Willen, sich anregen zu lassen von ihrer Umgebung, immer wieder neue Eindrücke aufzunehmen und zu verarbeiten; sie war vor allem künstlerisch "unterwegs". Ihre Hauptthemen Landschaft, kalligraphische Formen und Aktstudien hat sie wie ein Mantra verinnerlicht und vertieft. Zum Mantra – ich beziehe mich nochmal auf Wikipedia – :
Die Mantra-Rezitation geht schließlich über in ein ruhiges Verweilen in der Erfahrung des (Meditations-)Objekts.
Der oben schon angesprochene Prozess des Variierens und Komprimierens ist also eine fast meditative Art des Arbeitens und bedeutet damit auch ein Unterwegssein zu sich selbst, in Form einer fast religiös anmutenden Kommunikation mit der Dingwelt. Erinnern als Vorgang, als Reise, allerdings vermutlich weniger als Abenteuer (im unbesonnenen Sinne). Denn die Disziplin, die der (chinesischen, aber überhaupt der) Kalligrafie innewohnt, die Geduld, sich der Wiederholung – bei aller Abänderung in den Details – hinzugeben, und dazu Ingeborgs ausgesprochen starker, ja "eiserner" Wille: Das klingt alles eher nach Programm und Konzept und weniger danach, dass etwas ganz spontan, "aus dem Bauch heraus" entsteht. Gleichwohl hat sie sich mit der Wahl ihrer Malmaterialien und ihrem Duktus, der Dynamik der Pinselführung, Möglichkeiten eröffnet, keine Strenge aufkommen zu lassen. Zwar muss jeder Strich "sitzen", weil er nicht mehr korrigiert werden kann (Tusche und Aquarellfarbe kann man bekanntlich nicht ausradieren), aber die flüssigen Materialien haben doch einen Hang zu aleatorischen (= zufällig entstandenen) Details, spiegeln auch die jeweilige "Tagesform" mit ihrem Energiefluss wider; dadurch werden sie, ganz im Sinne des Sich-Erinnerns, zu einer Art Tagebuchaufzeichnung.

Zahlreich sind die grafischen Elemente; Flächen sind sichtlich linear strukturiert. Und doch verstand sich Ingeborg eher als Malerin, ganz in der Tradition der chinesischen Kalligrafie, die sich mit der Malerei – der Tuschmalerei – verbunden sieht.  Es ist allerdings nie eine Malerei, die mit ihren Sedimenten und Schichten Ge-Schichten über ihre Entstehung erzählt. Sie braucht kein Aufgebot komplizierter Materialien, bringt keine reliefartigen Strukturen mit, sie ist nicht haptisch orientiert: Ingeborgs Malerei ist ehrlich und unprätentiös, die Pinselspuren sind in der Hauptsache nebeneinander gesetzt, weniger übereinander. Indem die einzelnen Objekte – in verschiedenen Bildern – teils 20-fach variiert wurden, ahnen wir: Alles war so konzipiert, dass kein einzelnes Blatt "behaupten" konnte, die (eine) Lösung zu sein. So passt es auch zur Persönlichkeit von Ingeborg.

Das Anliegen der Künstlerin war allerdings schon, einen Weg zu gehen, der in einer zeichenhaften Abstraktion mündet. Die gegenständliche Welt war zwar Grundlage, wäre aber eine zu große Einengung gewesen. Die Umformulierung hin zum Symbol ist eine vergeistigte Form, die ein Objekt geradezu körperlos darstellt und aus dem Raum herausnimmt, während die Zeit sich, wie oben angesprochen, in der in etwa nachvollziehbaren Pinselführung und der Variationsreihe umso deutlicher manifestiert. Je leerer das Blatt, der Umraum auf der Fläche, desto eindringlicher die Symbolkraft. Hier werden Energien gebündelt.

Ich zitiere Julius Bissier, der nach meiner Ansicht ein "seelenverwandter" Künstler war:

"In drei Strichen, die einer mit dem Pinsel macht, muss eigentlich schon alles drinstecken: er selbst mit seiner Konstitution plus Temperament etc., seine Zeit und, ganz generell: Seine Stellungnahme zum Leben."

Sehen Sie hier: Ihre, Ingeborgs Stellungnahme zum Leben. Damit eröffne ich die Ausstellung.


Marlies Blauth, April 2011

















Keine Kommentare: