Atelier, 1993
Und?
Was machen Sie so beruflich?
Einerseits
habe ich’s ja gut, denn ich kann mich auf dem Kanapee einer längst etablierten
Berufsbezeichnung zurücklehnen: Ich bin Künstlerin. Auf der anderen
Seite sagte dieser Begriff schon immer alles und nichts. Vielleicht ja auch:
Lebenskünstlerin? (Wenn ich Glück habe – gesund und fit bin und gute Ideen habe
–, dann bin ich eine, ja!).
„Kunstmaler“ nennen
sich manche, vielleicht ältere „Semester“ meiner Zunft. Wahrscheinlich, um sich
deutlich vom Maler-und-Lackierer-Handwerk zu distanzieren. Wahrscheinlich tu‘
ich jetzt einigen meiner Kunstmaler-Kollegen Unrecht, aber ich denke da schnell
an stereotype Gebirgslandschaften und exotisch wirkende Frauenporträts, wie sie
im Wohnzimmer unserer Nachbarn hingen und mich in Kindertagen durchaus
interessierten: Da sah man nämlich aufgetragene Farbschichten (wenn ich
nachdenke, erinnere ich mich: Da war zum Teil auf samtartigen Grund gemalt
worden, die Farben leuchteten etwas merkwürdig), während wir zu Hause nur
Kunstdrucke hatten, beispielsweise ein Mädchen von Renoir und „Das
Konzert“ von Gerard ter Borch. „Echte“ Bilder, auch wenn sie Kitsch waren,
schienen was Besonderes zu sein, während ich durchaus spürte, dass die echte, wirkliche Kunst irgendwie besser war. Aber damals bei den Reproduktionen war eben nichts
zu fühlen (und heute, im Museum, ist es fast immer verboten), da warf nirgendwo
eine pastos aufgetragene Stelle ihren winzigen Schatten; der Kunstdruck war nur
ein Stück farbiges Papier, das man in einen passablen Rahmen gepackt hatte.
Ich
mochte etwa vier Jahre sein, da war ich überzeugt, dass auf dem ter Borch-Bild
meine Cello spielende Mama zu sehen war (und wenn ich die Abbildung heute im
Internet entdecke, dann durchfährt es mich einen Bruchteil einer Sekunde… da
bin ich ganzganz kurz wieder die Vierjährige); das Renoir-Mädchen – ich weiß
nicht mehr, welches es war – hieß bei uns merkwürdigerweise Hulda,
was ich mit dem eigentlich ungeliebten Lied „Horch was kommt von draußen rein,
hollahi, hollaho …“ sofort in Einklang brachte. Ja, diese vielen H’s. Hulda
sang für mich jedesmal hollahi, hollaho, wenn ich an ihr vorbeiging.
So
war meine Wahrnehmung eben, auch als ich ein kleines Kind war. Ich habe Erlebnisse,
Vorstellungen, Namen und Klänge miteinander verbunden – so
präsentierte sich die Welt für mich. Später erfuhr ich, dass ich Synästhetikerin bin
– was keine Berufsbezeichnung ist, sondern ein Phänomen benennt, das gar nicht
so selten ist: Man hört etwas und sieht gleichzeitig (Letzteres nicht real;
aber eigentlich doch… ), man sieht etwas und wandelt das sogleich in Klänge um,
Zahlen, Buchstaben, Begriffe, Datumsangaben sieht man „eingefärbt“ (ob man will
oder nicht), möglicherweise kann man beim Hören Geschmacksempfindungen
entwickeln. Die Spielarten sind zahlreich und ebenso spannend wie skurril. Weil
der Montag für mich ein wunderbares Karminrot besitzt (genauer gesagt: etwas
Zinnoberrot hineingemischt), konnte ich diese Montags-Hasser nie verstehen –
für mich war er stets ein „schöner“ Tag.
Ich glaube, ich bin vor allem Sammlerin: von Ideen und Eindrücken, weniger von Dingen. Auch wenn ich Wunderkammern liebe und sogar meinen eigenen Wunderkammerschrank habe. Dem Erlebten und Erdachten verleihe ich irgendwie Gestalt; in Bild und, oder Wort, ich will sie vermutlich „konservieren“, festhalten wie der Renaissance-Reiche die Schaustücke in seiner Wunderkammer. Mag sein, dass auch bei mir etwas „Protz“ im Sinne der Egozentrik dabei ist. Was aber eine noch wichtigere Parallele ist: Sammlungen wachsen, verändern sich, zeigen Prozesse, sind Prozesse, spiegeln die Zeit – ein Gegenstand, ein Gedanke kann Initial für den nächsten sein. Und es werden immer wieder neue Zusammenhänge geschaffen (zur Erinnerung: die Wunderkammern von damals, gemeint ist das 16. und 17. Jh., sind das Fundament für unsere Museen heute).
Ja:
Das Schaffen von – neuen – Zusammenhängen. Manchmal meine ich, dass es überhaupt
das Wichtigste innerhalb des künstlerischen Tuns ist. Das kann unter vielem
anderen eine Umwidmung von Gegenständen sein, eine bisweilen skurrile
Kombination von Darstellungen (nahe liegendes Beispiel: der Surrealismus), ein
experimentelles Zusammenwirkenlassen verschiedener Techniken und Materialien
oder, natürlich, das Erdenken/ Erfinden und Herstellen ganz neuer Gegenstände
und so weiter. Daher würde ich mich am liebsten Komponistin oder
„Kompositeurin“ nennen – denn selbstverständlich ist auch ein Bild oder
ein Gedicht eine Komposition, nicht allein ein Musikstück ist eine.
In
meiner Kunst-Wunderkammer entstehen seit 2005 auch Gedichte. Sind sie auch
vorher schon, aber da war die Schublade noch der Hauptrezipient. Inzwischen
gibt es schätzungsweise 100 lyrische Texte, einige sind in Anthologien
erschienen, ein paar in meinem Katalog „unterwegs“ abgedruckt – was bin ich
damit: Autorin? Dichterin? Oder doch nur eine
Hobby-Tante, eine Autodidaktin? – Immerhin habe ich in der Zeit als
wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule (Lehrstuhl Prof. Dr. R. K.
Wick, Universität Wuppertal) als Lektorin gearbeitet. Die
Arbeit mit Sprache hat mich immer schon begeistert. Als ich gerade schreiben
konnte, womit ich jetzt vor allem das Lösen feinmotorischer Probleme einer
Siebenjährigen meine, habe ich mit Vorliebe Wörter erfunden und Träume notiert.
Leider hat mir mein Umfeld irgendwann signalisiert, dass das „alles nix ist“,
dass ich doch lieber mal aufhören solle, die schönen Kinderbücher zu
verschmähen, und, wenn ich denn unbedingt Künstlerin werden wolle, endlich mal
lernen müsse, ein Pferd oder einen Hund anständig zu „malen“. Damit war
eigentlich das Zeichnen gemeint, aber egal, so genau nahmen es meine schlauen
Ratgeber gar nicht. Jedenfalls stopfte ich weisungsgemäß mein „Yeru-Heft“, in
dem sich meine allerersten Aufzeichnungen befanden, in den Müll. Nicht, dass
ihm die Welt eine Träne nachweinen würde. Aber ich finde rückblickend ganz
interessant, dass sich in diesem Yeru jede Menge Assoziationen sammelten, bei
denen Wort und Bild völlig gleichberechtigt waren. Der Klang eines Wortes
konnte mir den ganzen Tag versüßen; genauso auch eine Farbe, ein Farbton.
Manches musste ich – echt jetzt – in späterer Zeit noch einmal lernen. Zum
Beispiel, dass man bei gestalterischen Prozessen durchaus auch den Zufall
mitwirken lassen kann: Für eine bestimmte Yeru-Seite wurden zufällige
Vierfarbenkombinationen, generiert mit geschlossenen Augen, eingesetzt. Ich
lernte, dass eine schöne Farbe in bestimmtem Umfeld hässlich aussehen kann oder
umgekehrt oder dass eine Lieblingsfarbe auf großer Fläche oder auf einem
unpassenden Material ganz schnell in Hässlichkeit umschlagen kann – eben
dass es so eine Sache ist mit schön und scheußlich.
Im Moment habe ich noch einen ganz anderen Beruf: Mutter, Erzieherin. Nicht dass ich ganztägig am Herd oder am Bügeltisch stünde, ich lasse es nicht zu, dass derlei Alltagsnotwendigkeiten mich prägen oder sich jedenfalls stärker ausbreiten als es gesund ist. Geht es aber um Beantwortung von Kinderfragen bis hin zur fachlichen Nachhilfe verschiedenster Schwierigkeitsgrade – haben Sie mal morgens um sechs Uhr französische Vokabeln abgefragt? Was einem aber eindeutig lieber ist, als das Vokabelnlernen ständig anzumahnen! –, kommt jede Menge Pädagogisches und Didaktisches ins Spiel. Herrje, dass es mal so viel erzieherischer Aufwand würde, hätte ich nie gedacht. Und auch nicht, dass sich kurz nach Geburt eines Kindes scharenweise wohlmeinende Menschen einfinden würden, die einem erzählen, was alles sein muss. Es war in etwa so wie damals mit dem Hund und dem Pferd. Zwischen dem zu unterscheiden, was wirklich sein muss und was nur so aussieht, als ob es müsste, kostete mich einige Kraft. Dieses Abchecken musste allerdings wirklich sein. Was sonst brächte die kulturelle Arbeit? Dass doch alles bleibt, wie es immer war?
Last not least arbeite ich als Kuratorin: ich betreue die Ausstellungsreihe Kunst in der Apsis in der Evangelischen Kirche Osterath. Dieses Projekt ist seit zehn Jahren lebendig, und ich freue mich, dass ich mit daran beteiligt war und bin, ihm ins Leben zu helfen und es am Leben zu erhalten.
Auch
meine eigenen Bilder werden selbstverständlich – an den verschiedensten
Orten – hin und wieder der Öffentlichkeit präsentiert. Und da sind
sie wieder, die Zusammenhänge: Ausstellungen zu machen, sich an einer
Ausstellung zu beteiligen ist immer wieder spannend und hört nie auf, spannend
zu sein, denn die Gegebenheiten (der thematische Rahmen, die mitausgestellten
Arbeiten, die Architektur des Ausstellungsortes usw.) wechseln ständig, immer
wieder verbindet sich alles mit allem – zu Neuem!
Bild
und Text: © Marlies Blauth
1 Kommentar:
Danke für diese so persönliche wie interessante Lebenslinie .-)
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