Aua,
mein Kürbis –
so
sagten wir als Kinder, manchmal, zu unserem Kopf. Irgendetwas hatte uns am Kopf
touchiert, oder wir waren mit dem „Kürbis“ irgendwo angestoßen: Da war dann
wohl ein Brett über, neben oder vor dem Kopf übersehen worden.
Es
ist doch auch ein schönes Pendant – für den Kopf –, wenn heute Kürbisse
ausgehöhlt und mit flammender Dauerfratze irgendwo rumstehen. Halloween hat es
geschafft, (viele von) uns im Sturzflug zu packen und innerhalb kürzester Zeit
ersehnte Kommerzlücken zu füllen. So künstelt man Bedarf herbei: Man importiert
etwas und puscht es – und irgendwann ist es einfach da. Die Halloween-Geister
fordern uns auf zum Gruseltanz und geben damit die Generalabsolution für alles
Bescheuerte.
Dass
das so gut geklappt hat, ist sogar irgendwie nachzuvollziehen: Die Welt, die
aus den Fugen gerät, zeigt uns täglich, dass wir nicht besonders viel zu
lachen haben. Der Alltag kann ganz schön gruselig sein, und da muss man wohl Gleiches
mit Gleichem behandeln: zurückgruseln. Kunstblut über alles Unangenehme
schütten, Eier schmeißen, bis sie den Eierkopp von Chef mal so richtig treffen;
Nahrung besonders eklig präsentieren, weil wir ja „in echt“ manchmal fein aufbereitete
Schlachtabfälle serviert kriegen und Listerien oder EHEC eben nicht eklig
aussehen. Mal mit schiefen schwarzen Zähnen rumlaufen, weil uns die Zahnklammer
über Jahre lästig veredelt hat. Und so weiter.
Ein
Totentanz zu Zeiten, wo man über 80-Jährige sagt, sie seien „früh“ gestorben,
während der Krebs doch schon unter viel Jüngeren herumkrebst. Ein Totentanz,
der alle gleich macht angesichts der fürchterlichen Unterschiede zwischen Arm
und Reich. Gruselgeister, die uns verstehen: Wir haben das ganze Leben über
gehört, dass jeder seines Glückes Schmied ist. Wenn aber doch nur unglückliche
Fratzen rauskommen, weil uns niemand beim Schmieden geholfen hat?
Wir
nehmen uns – JETZT – den Spaß, weil wir ihn uns haben nehmen lassen. Die Jagd durch
Kindergarten – auch da kann schon von Dyskalkulie die Rede sein, *grusel* – und
Schule ist da schon mal eine gute Spaßbremse. Wer bis zum Burnout arbeitet,
kann an der schönsten Tätigkeit keinen Spaß mehr haben. Wer dagegen gar nicht
arbeitet, weil er nicht darf, findet das ebensowenig spaßig. Und überall haust
der Gott der Vernunft: Wenn du dies
machst, dann passiert dir das. Erst kürzlich war zu lesen, wie doof diese
irgendwie-medizinischen Alltagstipps sind (von wegen 3 Liter trinken und so) – beziehungsweise
am Ende sind wir selbst die Doofen, weil wir jemals darauf gehört haben. Ach
so? Wir mussten aber doch vernünftig sein und durften keine Widerrede ablassen.
In jeder Baby-bis-Rentner-Bravo werden wir zur Vorsorge gedrängelt (während „draußen“
die giftigsten Maßnahmen schöngequatscht werden – aber dazu gleich). Und der
Gott der Vernunft mischt sich auch in Krieg und Frieden ein: Es gibt für alles
eine vernünftige und logische Erklärung und Rechtfertigung, auch für
Brandgefährliches.
Na
ja, aber sehr erfolgreich isser eben nicht, dieser Gott der Vernunft. Zum Beispiel: Gnade denen Gott
(jetzt ist der ältere Kollege gemeint), die in der Nähe von zerberstenden
Atommeilern ihr Haus gebaut haben. Das ist so gruselig, dass man es gar nicht nachstellen
kann. Die Warnungen vorher, mit Hohngelächter als unvernünftig gebrandmarkt,
erwiesen sich als richtig, das wissen wir seit 1986. Aber viele Atomdinger „gehen“
noch, außerdem haben wir ja genügend Gruselnachschub, verkleidet als
freundliche Helferlein: Nanoteilchen im Essen, künstliche Gene, Glyphosat auf
den Feldern, gieriges Fracking, geheime Politik. Und merken, dass das alles nicht
hinhaut.
Und
so rennen die Halloween-Geister offene Türen ein, sie übergrinsen uns immerhin
für ein paar Stunden die täglichen Schauerlichkeiten: Sie sind zur
richtigen Zeit am richtigen Ort. Denn irgendwer hat uns längst den Kürbis
ausgehöhlt mit schneidigen Dauersprüchen im vernünftigen Gewand.
Ich
wär‘ dafür, den Kürbis aufzufüllen, ehe er in sich zusammenfällt: Mit eigenen
Ideen, Freude, Kreativität, Widerworten. Das ist Leben! Und jetzt hab‘ ich sogar den Bogen zum Reformationstag
hingekriegt.
Marlies
Blauth
1 Kommentar:
Sehr gut!
Sollte für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, weil dies ein wichtiger Text ist!
Liebe Grüße
Gabriele
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