Sonntag, 24. Mai 2015

Pfingstgedanken











Kritische Masse


Was, in drei Teufels Namen, mobilisiert den Menschen immer und immer wieder, an allem, was andere tun, lauthals Kritik zu üben? Und zwar atemberaubend schnell und unüberlegt, was gern mal mit „Authentizität“ oder „Unbefangenheit“ oder auch „Humor“ schöngeredet wird?

Das war schon lange so, lange vor Facebook und Twitter und überhaupt der Versuchung, etwas Authentisches in die Tasten zu kloppen und in Nullkommanix durchs Netz zu schicken. Dem Tummelplatz für kleinliche, spießige, fiese, destruktive (… usw.) kritische Äußerungen. Aber wie gesagt, es klappte auch vorher schon gut. Jemand äußerte mal, ungefragt natürlich, in meinem Gärtchen, das sei ja kein Rasen, sondern eine Wiese. Mir war das eigentlich egal, nur das wahrnehmbare Naserümpfen dann doch nicht so ganz: Es war weder nett noch in irgendeiner Weise konstruktiv gemeint.
WARUM entwickelt man überhaupt so dämliche Kommunikationskiller? Das frage ich mich seit Kindheitszeiten. „Du-kannst-ja-keine-Kritik-vertragen“, schallte es zurück. Do-hoch, kann ich. Es war mir immer klar, dass man sie braucht, dass man tatsächlich nicht ohne sie auskommt! Auch dann, wenn man im ersten Moment schlucken muss. Verdammt, falsche Orthografie. Blöd, ich hab‘ mich missverständlich ausgedrückt – und so weiter. Es ist eben, bieder gesprochen, noch kein Meister vom Himmel gefallen. Und jede konstruktive Kritik bedeutet, einen Schritt weiterzurücken in Richtung Meisterbrief.
Wenn ich allerdings nie vorhatte, mich als Rasenfachmann auszuweisen oder eine englische Rasenweltmeisterin zu werden, hat „Kritik“ da nichts verloren. Ich habe weder die Muße noch das Ziel, jedem einzelnen Gänseblümchen den Kampf anzusagen. Warum denn auch?
Ach ja, es ist eine Geschmacksfrage; ganz genau. Der eine so, der andere so. Es dürfte hinreichend bekannt sein, dass es so ist: Für den einen ist Ziegenkäse eine Delikatesse, für den anderen schaurig. Ich erinnere mich an ein „Tischgespräch“ in der Mensa zu Beginn meiner Studienzeit: Da hatte ich mir eine fröhliche Sammlung Beilagen zusammengestellt und startete mit dem Obstsalat. Meinen biederen Tischgenossen missfiel das alles, sie stocherten ständig verbal in meinem Essen herum, natürlich nicht ohne kritisch zu bemerken, dass meine Auswahl ja vegetaaaarisch war.

Der Motor für dies alles ist wohl das wunderbare Augenblicksgefühl, Macht über jemanden ausüben zu können. Vielleicht würde man genau dem Menschen, dem man einen Verbalpieks verabreicht, am liebsten realiter mit einer Nadel irgendwohin zwacken und transponiert es nun auf die – etwas abstraktere – Sprachebene. Es gibt ganz sicher genügend psychologische Abhandlungen über diese Alltags-Machtgelüste (ich bin jetzt zu faul zum Suchen), interessant finde ich vor allem, wie oft sie angewendet werden. Und, wie gesagt, das Internet schluckt dankbar alles: Wir werden immer unkultivierter.
Ein bescheuertes Posting zu einem – wohl etwas unkonventionellen (ich konnte ihn nicht verfolgen, ich war hier) – Pfingstgottesdienst im Fernsehen brachte mich auf den Gedanken, ein paar Assoziationen aufzuschreiben. Bescheuert war der Beitrag deswegen, weil er kleinlich und der Sache völlig undienlich war. Wie es eben immer so ist. Man hackt auf einer Sache herum, weil sie einem nicht „geschmeckt“ hat, und bewegt doch nichts damit. Und im kirchlichen Umfeld wirkt das eben besonders blöd. War es nicht ein Geist, der die Menschen trotz verschiedener Muttersprachen zusammen führte? Oder sollte man nicht sogar schreiben: IST es nicht ein Geist … den wir anscheinend permanent wegschieben, abweisen, weil wir ja alles besser wissen und können?

Ich bekam kürzlich eine Mail von völlig unvermuteter Seite: Mein Bild in einer Gemeinschaftsausstellung sei das mit Abstand beste. Bei aller Verwunderung, ich fand mein Bild völlig „unauffällig“, stellte sich vor allem eines ein: Freude über solch ein Statement. Und ich rechne dem Absender besonders hoch an, dass er den Mut hatte, sich zu melden – wo es doch en vogue ist, an allem herumzumäkeln.

Was für tolle Kräfte durch positives Feedback freigesetzt werden können! Jeden Tag ein freundliches, fröhliches Wort: DAS ist GEIST.

Frohe Pfingsten!


Marlies Blauth











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