Sonntag, 1. November 2020

#Kohlestaub Tagebuch | 14

 

Oberhausen – Karmin und Kohlespuren






Heute gehts zum Athena-Verlag, in dem schon mein Dornröschenhaus erschienen ist. Damals, 2017, haben wir alles digital und per Telefon kommuniziert, nun passt es prima in meine Ruhrgebietstour, dass ich mich einmal persönlich vorstelle – und wir das nächste Projekt besprechen. Mit Hilfe meines Stipendiums soll ein ganz besonderer Kunstkatalog entstehen. 

Bilder aus Kohlestaub – wäre das ein passender Titel?

 

über die Bilder

meiner Erinnerung

fällt Staub

Kohlestaub

 

sie sind ein Hauch

aus Hellgrau

und wenigen Worten

 



Ich steige am Hauptbahnhof aus meinem Zug und sehe gleich: Hier in Oberhausen gibt es ganz viel Backsteinarchitektur, aus mehreren Jahrzehnten, allerdings hauptsächlich aus den 1920er Jahren („Backstein-Expressionismus“). Diese Häuser besitzen dieses ganz typische dunkle Karminrot, das – zusammen mit der außergewöhnlichen Gesamtgestaltung – immer einen zwiespältigen Eindruck hinterlässt: menschenfreundlich und hermetisch-abweisend gleichzeitig. Man spürt den Aufbruch der Moderne, weiß aber auch, dass er nicht lange vorhielt.

Ich habe es eilig, vor allem, weil ich mich zunächst einmal verlaufe: am Bahnhof hätte ich gleich links abbiegen müssen. Später, nach dem Gespräch, werde ich genügend Zeit haben, mir die Häuser anzusehen. Jetzt bin ich froh, ein fotografisches Gedächtnis zu haben und den Stadtplan im Kopf, um wieder auf die richtige Spur zu kommen (mein Handy ist noch aus der Zeit der Dinosaurier). Ganz unpünktlich will ich nicht sein, weil ich das doch nie bin. Aber eigentlich verlaufe ich mich gern in fremden Städten; ich weiß auch nicht, warum das so ist. Vielleicht, weil man sie dadurch kennen lernt, so abseits der Hauptwege.

Ich nehme mir vor, am Ende meines Ruhrgebiets-Projekts jede Stadt dieser Region einmal besucht zu haben; ob ich das schaffen werde?

 


Auch an einer backsteinexpressionistischen Kirche komme ich vorbei (St.Michael, Oberhausen). Man kann merken, wann hier ein wichtiger Schub der Industrialisierung stattgefunden hat: Auch wenn hier gar keine Industriegebäude stehen, so sagen Wohn- und Kirchenarchitektur doch viel aus.

Nach einer guten halben Stunde bin ich im Verlag angekommen, mich erfreut die herzliche Atmosphäre dort. Endlich einmal lächelnde und lachende Menschen! Mit dem gebührenden Abstand darf man die Maske abnehmen, muss es sogar, wenn man den freundlich angebotenen Kaffee trinken will. Ich merke, wie gut mir das alles tut. Allerdings habe ich mit den Ruhrgebiets-Menschen ja nie Schwierigkeiten, zu mir sind sie eigentlich immer freundlich. Vielleicht haben wir ja so eine Art Gen, das man sich erwerben kann, wenn man nur lange genug dort wohnt.

Ich schaue mir vergleichbare Bücher an – mein ungefähres Konzept hatte ich schon per Mail vorgestellt –, knurre hier ein Ja, lächle dort ein Nein; wir geraten ins Plaudern, es ist einfach nett, und ich freue mich auf dieses Buch, das mich zielgerichtet arbeiten lässt.

Das Gespräch dauert länger als gedacht. Zwischendrin dudelt mein Seniorenhandy, eine Galeristin sagt die Ausstellung ab, weil ja nun alle Galerien schließen müssen.


 




Nun habe ich Zeit, durch die Stadt zu schlendern, ein paar Fotos zu machen. Jede Stadt hat ihren besonderen Charakter. Auch das Unscheinbare ist wichtig, so ist das im Ruhrgebiet: Ich schaue auf architektonische Details und freue mich.

 





Plötzlich ragt dieser Riese, das Backstein-Rathaus am Grillopark, vor mir auf: Zwanziger Jahre (fast vollständig) in Reinform!

Ich gehe weiter, finde noch dies und das (den schneckenschnörkeligen Giebel des Amtsgerichts, Neo-Renaissance, auch in Riesig), das Elsa-Brändström-Gymnasium, das Polizeipräsidium (beides, nun wieder, aus den 1920ern).

 

 










 

Endlich finde ich so etwas wie einen Stadtkern, lerne allerdings kurze Zeit später, dass Oberhausen drei Zentren hat, mit der „Neuen Mitte CentrO“ – auf einer ehemaligen Industriefläche – sogar vier. So sind die Einkaufsstraßen etwas ausgeblutet, allerdings gibt es den Leerstand auch woanders, so dass ich (ich kannte die Kritikpunkte gegen das CentrO) Schlimmeres erwartet hatte.

Ich gehe zurück zum Bahnhof, muss ihn suchen, und entdecke ein paar kleine Läden, die auf mich gemütlich-kleinstädtisch wirken. So langsam habe ich den Eindruck, dass Oberhausen seine verschiedenen, liebenswerten und interessanten Gesichter gar nicht so sehr zeigen mag – so wie die meisten Ruhrgebietsstädte. Ihr könntet so viel aus Euch machen! Gute Ansätze findet man doch schon, bitte weiter so! 


@Oberhausen: ich mag es, Dein Karminrot mit den Kohlespuren.

 






 

 

 

Marlies Blauth | 29. Oktober 2020

Text und Fotos  © Marlies Blauth






 

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