#Menschen Tagebuch | 2

 

Auf den Stufen

  

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen …

(aus dem Gedicht Stufen von Hermann Hesse)

 

 

 

Die Menschen sitzen wieder auf den Treppen, wie in jedem Sommer. Aber es ist merkwürdig still – das Lachen der Sommerferien bleibt aus. Die fröhlichste Stimmung scheint nach wie vor in den Biergärten und auf den Restaurant-Terrassen zu herrschen, doch auch dort einige Grad gedämpfter als sonst.

Alle sind müde – vom Warten, Bangen und Hoffen. Die Resignation bekommt täglich neue Nahrung: widersprüchliche Nachrichten, neuartige Verhaltensweisen, Angst voreinander, verfremdetes Zeitgefühl; ja, wo sind die letzten anderthalb Jahre eigentlich hin? Sie sind ein blinder Fleck in der Biografie, vielfach ungenutzt verstrichen. Wir sind langsamer und schneller geworden – gleichzeitig. Wie geht das?

Unsere Standpunkte haben sich verschoben, unsere Gespräche verlaufen anders, das Verständnis füreinander lässt nach. Und als grundsätzlich freie Menschen – wir haben ja nichts verbrochen und sitzen nicht ein – müssen wir uns von unserer Kanzlerin anhören, dass wir desto freier werden, je mehr sich impfen lassen. Was allein schon medizinisch umstritten ist, da sich ja gerade zeigt, dass es die angestrebte Immunität durch Impfung nicht gibt. Das Frei-Impfen ist also eine Chimäre und wird damit auch ethisch umso fragwürdiger.

Einige Menschen spüren wohl, dass die Impfung nicht halten kann, was sie verspricht (oder ihre Hersteller und Vermarkter erhoffen). Ein Bekannter erzählt mir, er habe von seinen – geimpften – Eltern „Hausverbot“ erhalten, weil er noch ungeimpft sei. Auch ein jeweils aktueller Test nehme ihnen nichts von ihrer Angst.

Wo ist die Freiheit, die innere Freiheit? Wo ist das Gottvertrauen? Lässt es sich ohne überhaupt leben?

 

„Es ist wichtig, an Gott zu glauben“, sagt mir der freundliche Zugschaffner, als wir kurz ein bisschen plaudern, über Hunger auf Käsebrötchen, Corona und überhaupt „Gott und die Welt“. Ich nicke. Wir sind eine Christin und ein Muslim, aber das spielt keine Rolle. Wir glauben beide, dass es eine höhere Kraft oder Macht gibt, die wir als Menschen niemals erreichen. Vorsicht, ja, die ist nötig, aber eine Sicherheitsgarantie gibt es nicht.

Dass der Glaube daran – an die Sicherheit – auf wackligen Füßen stehen muss, spüren nicht nur wir. Jeder, der die Sicherheit auch nur scheinbar untergräbt, wird, oft lautstark und jenseits jeder Fairness, angeprangert. So kreischt eine Bäckereiverkäuferin hinter der Theke in einem Einkaufszentrum: „Heute hats wieder keiner nötig, eine Maske zu tragen!“ – „Doch, ich trage ja eine“, sage ich so eingeschüchtert wie genervt, denn ich stehe direkt an der Theke und will eigentlich ein Brot kaufen. Alle um mich herum sind ebenfalls schutzmaskiert. Wer ist gemeint? Alle? Alle führen in den Augen dieser Frau Böses im Schilde? Wie bedrückend!

 

 

Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden …

(noch einmal aus Stufen von Hermann Hesse)

 

 

 die Zeichnungen haben alle das Format 20 cm x 20 cm (Ritzzeichnung, Kohlestaub und Acrylfarbe)

 

 

Marlies Blauth | 24. Juli 2021

Text und Bilder © Marlies Blauth