Die Friedhofskirche in
Wuppertal-Elberfeld
In meiner Wuppertaler Zeit (1977 – 1991) kannte ich diese Kirche nur von Weitem. Sie machte auf mich immer einen hermetischen und überdimensionierten Eindruck, und überhaupt waren Kirchenbesichtigungen damals fast nur für die alten, mittelalterlichen Kirchen üblich – von denen es in Wuppertal allerdings keine gibt; als eine der älteren fällt mir die Kirche Wupperfeld ein oder, natürlich, die Kirche Schöller, die aber weit außerhalb liegt. Ferner ist mir die romanische Apsis der Alten Kirche Elberfeld bekannt.
Immer schon an Kirchenarchitektur und -ausstattung interessiert, hatte ich mir die meisten Innenräume der Wuppertaler Kirchen im Rahmen von Gottesdiensten angesehen. Dabei war mir allerdings die reformierte Richtung sehr fremd, und ich wusste auch, dass es dort mit Kunst – künstlerischer Gestaltung – eher bescheiden aussieht. Ja: bescheiden; das wollte man in den meisten Fällen tatsächlich sein, warum Geld ausgeben für überflüssigen Tinnef, das Wort Gottes braucht keine künstlerische Unterstützung.
Was ist lange nicht wusste: Beim Bau der Friedhofskirche (fertiggestellt 1898) war man aber wohl der Ansicht, dass ein wenig Farbe und „Design“ vielleicht doch nichts schaden kann. Irgendwie schien man sich auch behaupten zu müssen: Wikipedia berichtet, „Die Einweihung der katholischen Laurentiuskirche im Jahr 1835 hatte einen deutlichen städtebaulichen Akzent gesetzt und die schwindende Vormacht der reformierten Kirche in Elberfeld dokumentiert. Auch die 1858 eingeweihte Neue reformierte Kirche für den Elberfelder Westen konnte ihr den Rang als Hauptkirchenbau nicht ablaufen.“ Und, weiter: „Die Gemeinde begegnete dem geplanten Prunkbau mit zwiespältigen Gefühlen.“
Das kann man sich
vorstellen. Bis heute ist die Friedhofskirche die zweitgrößte evangelische
Kirche im Rheinland.
Nun sehe ich unter speziellen
Aspekten auf die Kirchenräume: Für mein „Herbarium“-Projekt suche ich
insbesondere florale Ornamente in Kirchen. Dass die Friedhofskirche darin eine
reichhaltige Auswahl bietet, war mir lange nicht klar. Das liegt natürlich auch
daran, dass mir früher nur Schwarzweiß-Fotos bekannt waren, auf denen die
ornamentale Fülle nicht angemessen deutlich wurde. Heute gibt es das Internet,
und inzwischen kann man auch viele detaillierte Fotos der Kirchenausstattung
finden. Lange musste man sich mit oft etwas lieblos gemachten Broschüren (und
ihren oft schlechten Fotos) zufrieden geben, denn, wie gesagt, so richtig ernst
genommen wurden nur die romanischen und gotischen Kirchen, während die
Architektur des 19. Jahrhunderts lange als eher unbedeutend empfunden wurde.
Heute hat man glücklicherweise erkannt, was für historische Schätze doch hier und da vorhanden sind, auch wenn sie „nur“ gut 120 Jahre alt sind wie die Friedhofskirche. Ihre Beschädigungen im zweiten Weltkrieg waren nur gering, bis auf die 1943 zerborstenen Fenster ist alles noch weitgehend im Original erhalten.
Die freundliche Küsterin schließt mir die Tür auf, ich fühle mich willkommen, darf mich in der Kirche frei bewegen und alles fotografieren, was mir am Herzen liegt. Und egal, wie ich mich drehe und wende, ich werde fündig: abstrakt-pflanzliche Ornamente schier überall. Sogar der Altar, nein: streng-reformiert heißt er wohl noch immer Abendmahlstisch, hat eine gekachelte Oberfläche mit Blumenmuster, ebenso der Fußboden. Auch wenn es sehr historistisch zugeht, ahnt man, dass der Jugendstil, der den floralen Motiven ja im wahrsten Sinne des Wortes zur Blüte verholfen hat, gleichsam schon an die Tür klopft.
Durch ihre Ausmalung ist die Kirche warmherziger, als ich früher immer dachte. Was Farbe ausmachen kann! Aus der Farbpsychologie weiß ich noch, dass durch die Farbwahl sogar unser Temperaturempfinden beeinflusst wird: Räume in warmer Farbigkeit nimmt man tatsächlich als wärmer wahr, blaue Zimmer sind nichts für Menschen, die leicht frieren.
Und die Ornamente haben – mit ihrer Gestalt gewordenen Geduld – etwas Liebevolles, weil Detail für Detail so freundlich wiederholt ist. Ich spüre: Das ist in der gegenwärtigen Zeit so gar nicht angesagt, denn tausendfache Vervielfältigung ist seit einigen Jahrzehnten technisch einfach und billig, da scheint das Handwerk obsolet. Wie schön aber sind die kleinen, menschengemachten Abweichungen, wie langweilig kann maschinelle Perfektion sein, wenn es um Ästhetik geht. Ich merke: Der eigene Blickwinkel ändert sich mit den Zeitläuften.
Ich verlasse die Kirche mit, wie damals, „zwiespältigen Gefühlen“. Die Küsterin
sagt mir: „Dort vorne hat der Architekt Otzen sogar noch ein Kreuz hingemogelt,
in Form einer Kreuzblume.“ Ach ja, siehste, nicht mal das Kreuzsymbol ist,
streng-reformiert, erlaubt. Warum dann eigentlich Blümchen und Blättchen in
Hülle und Fülle? „Die“ damals hatten damals ja merkwürdige Probleme … die man
heute wohl niemandem plausibel erklären könnte. Bei Wikipedia ist zu lesen, dass
die Friedhofskirche, deren Name ja ganz praktisch auf den Friedhof nebenan verweist,
einst „3. Kirche“ geheißen hat. Ich muss an Tertius und Quintus denken, die
durchnummerierten Kinder in der römischen Antike. Ich glaube, so viel blanke Vernunft
ruft geradezu nach irgendeiner Ausschmückung. Vielleicht also diente sie damals
nicht nur der Repräsentation, sondern ein bisschen auch dem Zugang zu Gemüt und Herzen der Menschen – fürwahr,
dieses Bedürfnis hat sich bis heute nicht geändert.
Marlies Blauth | 30. März
2022
Text und Fotos © Marlies Blauth
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