Die Immanuelkirche in
Dortmund-Marten
Die Lilien auf dem Feld und die Lust am Dekor – eine bunte Kirche aus der Jugendstilzeit
„Bonte Kerken“ kenne ich aus
dem Oberbergischen Kreis – und sie sind alt. Die Immanuelkirche ist deutlich
jünger, aber immerhin auch schon vor über einem Jahrhundert erbaut worden.
Ein bisschen wirkt sie, als
würde sie mit ihrer Umgebung fremdeln. Vielleicht, weil sie – als Kirche nicht
so sehr betagt – etwas außerhalb ihres Stadtteils steht, für die Kirche mitten
im Dorf war vermutlich nicht mehr genug Platz.
Ich laufe ein paar Schritte hoch und betrachte das imposante Gebäude mit dem auffallend hohen Turm. Der, so erfahre ich später, sollte mit dem katholischen Pendant unbedingt konkurrieren können. Ja, das waren merkwürdige Probleme aus Sicht unserer Gegenwart, wo man Kirchen entwidmet und abreißt.
Außen ist die Immanuelkirche grauschwarz granitfarben; nichts weist auf die innere Farbenpracht hin. Der – auch wieder freundliche – Küster schließt mir auf, ich gehe durch die schönen alten Türen und bin regelrecht überwältigt. Zwar hatte ich schon Fotos gesehen, aber der direkte Raumeindruck ist ungleich stärker. Die „einzige Jugendstilkirche Dortmunds“, wie auf einer Tafel vor der Kirche zu lesen ist, präsentiert sich als schieres türkisblaues Farbenmeer mit Ornamentik überall. Interessant ist das Türkisgrün himmelwärts, während in den unteren Wandregionen die Grundfarbe Blau vorherrscht. Ebenso besonders: Die eigentlich kühle Wasser-Farbigkeit wirkt warm und nah.
Solche Räume mag man als übertrieben und überladen empfinden. Wie mir der Küster erzählt, sollte die Kirche, wie so viele ihrer Zeit, ja tatsächlich auch „mächtig“ repräsentieren. Aber ich finde, bei aller Geschmackssache tut das sinnliche Erleben gut. Wie ich in einem anderen Blogbeitrag schon erwähnte, machte man dem Jugendstil den Garaus, indem man das Ornament als überflüssigen Schnickschnack ablehnte und möglichst vollständig tilgte, oftmals zog man sogar den rohen Beton vor, wie wir es spätestens in den 60er und 70er Jahren erlebten. Ob das die „menschlichere“ Architektur war und ist, sei dahingestellt.
Offenbar unterlag die
Immanuelkirche auch diesem Trend; obwohl nicht kriegsbeschädigt, wurde ihr
Inneres Ende der 50er Jahre hell überstrichen. Was für ein Frevel, möchte man
fast sagen – und in den 80er Jahren wurde der Urzustand aufwändig
wiederhergestellt. Zum Glück! Ein solcher Raum monochrom-creme? Warum sollte
man die „Lust am Dekor“, wie es in der Broschüre der Kirchengemeinde heißt, verneinen?
Was spricht gegen die sinnliche Wahrnehmung von Farben und Formen? Gott hat uns
schließlich die Fähigkeit zum Farbensehen geschenkt und die Natur bunt und üppig
gestaltet. Ich weiß, es ist etwas aus dem Zusammenhang gerissen: „Schauet die
Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen!“, heißt es in der Bibel mit Blick auf
die Schönheit der Natur, die sich nicht um sich selber sorgt. Das darf sich doch in
kirchlichen Räumen widerspiegeln?
Und damit bin ich wieder ganz
beim floralen Ornament: Blüten- und Blattformen, Schnecken, Bänder und Schlangenlinien
– und auch hier, wie in Bochum-Gerthe, glitzernde goldene Partikel wie eingestreut.
Nein, das Gold ist nicht pompös, es reflektiert nur – hier und da – freundlich
das Sonnenlicht.
Interessant sind die original
erhaltenen Jugendstilfenster: Ein Engel-Fenster, um das die Orgelpfeifen geradezu
herumgebaut sind; links und rechts Jesus mit den Kindern in zwei verschiedenen
Episoden („Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht“). Ja, kitschig
wie Glanzbildchen … aber doch auch herzerwärmend. Was von Beidem ist wichtiger?
Ich darf mich in der Kirche unbegrenzt aufhalten. Wir mögen uns, sie und ich, auch wenn mir manches zu großformatig ist und ich die Architektur des Wiesbadener Programms (Anordnung Altar – Kanzel – Orgel übereinander, wie oftmals im protestantischen Barock, nur größer) nicht so schön finde. Andererseits war der offene, vorgerückte Altarraum wohl wirklich ein Fortschritt gegenüber der betont konservativeren Gegenbewegung (die man Eisenacher Regulativ nennt). Die Kirche strahlt ein harmonisches Selbstbewusstsein aus, und das passt gerade auch in unsere Zeit.
Dieses Gefühl nehme ich mit,
als ich – nach einer kurzen Plauderei mit dem Küster – wieder gehe.
Ich blicke mich um und sehe
die zurück auf die graudunkle Kirche, die mich an ein Schalentier im Meer denken lässt:
in seiner rauen Schale wohnt schillerndes Perlmutt. Vielleicht ist das überhaupt
ein Bild für Kirche und Glauben: man sollte unbedingt tiefer hineinsehen.
Marlies Blauth | 6. Mai 2022
Text und Fotos © Marlies Blauth
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