MNZ – eine Performance mit der Dortmunder Gruppe
Malen nach Zahlen als
Persiflage auf Discounterkunst
Ein Bericht
„Lerne aus den Fehlern
anderer. Du kannst nicht lange genug leben, um sie alle selbst zu machen!“
So schallt es unangenehm es
aus dem Megaphon; während wir alle auf unserem zugewiesenen Platz an der
Malstraße sitzen oder stehen und emsig unsere jeweilige Aufgabe erledigen.
Noch grinse ich, wenn auch
etwas genervt – „Ich würde lieber riskieren, erschöpft zu sein, als zu rosten“,
trötet es derweil –, aber da kommt auch schon die Aufseherin, haut mit dem
Stock auf meinen Tisch und schimpft, dass wir arbeiten sollen, anstatt zu reden
oder gar zu lachen.
In der Tat haben wir nichts zu lachen, denn wir sind heute Leibeigene des Kunstbetriebs, wir haben zu produzieren, damit sich die Wandfläche nach Plan füllt. Jeder malt seine Flächen aus, immer dasselbe, immer dieselbe Farbe. Kunst als höchst unkreativer Vorgang, als seelenlose Massenproduktion, als Sklavenarbeit.
Im Hintergrund ein
taktgebendes Klack|klack|klack|klack …, dessen Unerbittlichkeit mich später bis
nach Hause, sogar in den Schlaf verfolgen wird.
„Und das erste Bild befindet
sich in der Eeeendkontrolle …“
Klack|klack|klack … Wir sind zu langsam, der Takt stimmt nicht. Irgendwo stauen sich Bilder, die Frau mit dem Stock kommt und mahnt. „Du musst nicht die ganze Treppe sehen, mach einfach den ersten Schritt,“ schrillt das Megaphon. Jaja. Die ersten Kräfte schwinden, wir sagen nicht mehr viel, sondern arbeiten nur noch, versuchen, gewissenhaft und schnell gleichermaßen zu sein. Sehen selbst, dass es nicht fix genug geht, können uns ausrechnen, wie viele Stunden wir noch brauchen, wenn wir uns nicht verbessern. Fünf „endkontrollierte“ Bilder hängen an der Wand; vierzig sollen es werden.
Ich „springe“ nicht mehr, sondern bekomme – und das begeistert mich fast – einen neu eingerichteten Job. Einige haben vor lauter Getriebensein und Stress ihre Arbeit nicht vollständig erledigt, hier und da bleibt ein Feld unausgemalt. Ich soll nun mit der Vorlage vergleichen und Vergessenes ergänzen. Was doch sehr nach Kontrolle klingt, lässt mich in Wirklichkeit aufleben: denn ich habe nun als Einzige mehrere, verschiedene Farben zur Verfügung, denn einmal fehlt etwas Gelb, dann wieder Schwarz oder Grün. Dieser Hauch von ungeahnter Schöpferkraft ist wie ein Lichtblick; ins Gelb mischt sich, allein aus lauter Eile, ein Quentchen Rot, ins Schwarz ein Restchen Grün. Ich weiß, das soll es nicht, aber … und dieses kleine Stückchen Individualität ist wie ein tröstendes Etwas – ich hinterlasse eine winzige Spur einer Mischfarbe, die es im Nachbarbild so nicht gibt. Gut, dass die Frau mit dem Stock nicht neben mir steht. Aber ich kann ja nicht bei jedem Farbwechsel zum Wasserkran rennen.
Noch immer sind wir zu langsam –
Und dann ergibt sich etwas,
ja, eigentlich Wunderbares: Wir setzen uns über die „Gesetze“ hinweg, entscheiden
selbst. Weil ich fast nichts mehr ergänzen muss, bekomme ich nun die halbe
Aufgabenportion von einem Kollegen zwei Plätze vor mir (ich habe ja alle
Farben), bei dem sich Bilder stauen; so geht es zügig weiter. Zwei andere tauschen
ihren Arbeitsplatz, denn nicht Jedem liegt das Kleinteilige, Genaue, einem Anderen
nicht das großzügige Vollenden des Hintergrundes. Plötzlich sind wir, wenn auch
auf kleinster Stufe, wieder Individuen, Menschen mit Stärken und Schwächen, die
sinnvolle Entscheidungen treffen. Es weht, wenn man so will, ein guter Geist.
Was die Kunst nicht besser macht, sie bleibt, wenn auch handgefertigt, industriell, ohne persönlichen Duktus. Aber das war ja auch bezweckt: Kunst aus Massenproduktion zum Dumpingpreis von 19,89 € – wer sich ein solches Werk hat reservieren lassen, kann es am 2. Oktober 2022 abholen, denn dann endet die Ausstellung. Die Ausstellung eines Bildes in vierzigfacher Ausführung. (BIG-Gallery Dortmund)
Marlies Blauth (Text und Fotos)
1 Kommentar:
... tolle Aktion! ...
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