Gender – ja bitte!
Ja, ich habe mal Biologie studiert. Zu einer Zeit, als
man biologistische Weltbilder in die Mottenkiste stopfte und jede Diskussion 2
: 1 für die Sozialwissenschaftler ausging. Das Modell Familie geriet ins Wanken; doch in einer Atmosphäre des
Aufbruchs und des Experimentierens hielt sich der Aufschrei in Grenzen:
Zumindest die Jüngeren waren gedankenoffen für alles, hatten sie doch erkannt,
dass es „so“ (wie die Eltern es vormachten) nicht weiter gehen konnte.
Ich erinnere mich, wie ich – noch ein Kind – weder das Fräulein „verstand“ noch das Mädchen: Weder der Hinweis auf das
Nicht-Verheiratetsein noch die süße Verkleinerung hatten ein männliches
Pendant. Das fand ich komisch, ja, im Grunde beängstigend. Sprache erzählt so
viel, wenn man scheinbare Selbstverständlichkeiten mal hinterfragt und zerpflückt.
Am doofsten aber fand ich, wenn meine Mutter an „Frau
Harald Blauth“ – so hieß mein Vater – Post bekam. Ich konnte gerade lesen und erkannte,
dass es diese Person nicht geben konnte. Schließlich war ich gerade korrigiert
worden, weil ich „Othmar“ für einen Mädchennamen hielt, in Anlehnung an meine
Sandkastenfreundin Dagmar. Und nun Frau Harald? Kein Druck- oder Schreibfehler, nein. Ehefrauen, die also die Kategorie Fräulein erfolgreich verlassen hatten, wurden zum Anhängsel ihres Mannes. Man machte sich oft einfach nicht die Mühe, ihren Vornamen zu benutzen.
Ich könnte noch viele Beispiele aufzählen, die durch die
Jahrzehnte glücklicherweise verdunsteten. Wobei diese Verdunstung nicht
einfach-so passierte; die Frauen haben größtenteils sehr dafür kämpfen müssen.
Manche Konservative versuchten, das ins Lächerliche zu ziehen. Die
Smoothie-Variante: Es komme doch nicht darauf an, ob man nun Frau oder Fräulein
sage, wichtig sei der doch der Mensch dahinter. Jaja. Sollte sein. Aber wie
gesagt, die Sprache verrät viel. Und in meiner Generation gab es tatsächlich
noch Mädels (es geht auch heute noch nicht ohne diese verdammte
Verkleinerungsform!), denen das Gymnasium verwehrt wurde, weil sie ja „sowieso
heiraten“ würden.
Heute sagt man das nicht mehr. Das hat viele Gründe,
auch weniger schöne – zum Beispiel den, dass die Gehälter und die
Lebenshaltungskosten viel öfter als früher in einem ungesunden Verhältnis
stehen. Vielleicht sind es auch manchmal individuelle Träume und Vorstellungen,
aber egal, oftmals braucht es eben zwei: Einen Geldverdiener und eine
Geldverdienerin. Und immer, wenn Frauen gebraucht
werden, lösen sich manche Probleme scheinbar ganz von selbst. Ich erinnere
nur an die so genannten Trümmerfrauen, bei denen plötzlich weder nach
körperlichen Kräften noch nach „frauengemäßer“ Arbeit gefragt wurde. Heute
werden eben Kindertagesstätten gebaut. Das wäre so nötig nicht, würden/ könnten/
wollten sich Mütter und Väter Gelderwerb und Familienarbeit gerecht aufteilen. Und pädagogisch verbrämen müsste man die KiTas auch nicht.
Vieles hat sich geändert, da haben die Gender-Kritiker
schon Recht. Aber wir sind noch nicht so weit, dass wir zufrieden die
manikürten Händchen in den Schoß legen dürften: Zu angespannt ist die Lage, die
Atmosphäre ist so anders als in den Siebzigern – wir müssen sogar aufpassen,
dass wir nicht, aus lauter Kritik an Ampelfrauchen und Gender_Gaps, einen
Schritt nach dem anderen rückwärts tun. Auch wenn manches getilgt ist (wie die
Fräuleins), wachsen derzeit einige Hydraköpfe, angefüttert mit Statistiken und
Aussagen von Biologen. Als ob wir nicht „männlich“ von „weiblich“ unterscheiden
könnten, als ob wir elementaren Aufklärungsunterricht nötig hätten! Dass die
Vermehrung durch einfache Zellteilung nicht das schafft, was wir als
Menschen zustande bringen (nämlich: Vielfalt!), und dass sich Klone weniger
toll anpassen können: geschenkt! Aber das biologische Geschlecht sagt doch
nichts über das soziale (… Verhalten)! Oder sind wir in Wirklichkeit dermaßen
kulturlos, dass wir in allem, was wir tun, einem Zwölfender vergleichbar sind,
der nur eines „will“: sich fortpflanzen.
Ich möchte behaupten: Das Allermeiste, was wir tun, ist
geschlechtsneutral. Wer seine/ ihre acht Stunden im Büro hockt und
Datenmaterial bearbeitet, fragt dabei nicht ständig, ob er Männchen oder
Weibchen ist. Natürlich hat sie/ er eine individuelle Biografie, in der auch
das Geschlecht eine Rolle spielt. Aber Herkunft, Bildung, Umfeld und so weiter spielen
genauso mit.
Zurück zur Beobachtung, dass sich immer irgendwas
ruckartig ändert, wenn man merkt, dass man (die) Frauen braucht. Heute klingelt
– für einige – die niedrige Geburtenrate Sturm; Schuld hat das Ampelweibchen,
das ständig auf Rot steht. Heute braucht man also Frauen, die überhaupt
willens sind, schwanger zu werden. Also wird das Muttersein neu verbrämt, es
stehen auch einige Biologen bereit, die was von Zygoten und biologischen
Aufgaben erzählen. Per „Herdprämie“ sollen die Frauen an die Familie gebunden
werden, Muttersein, das Schönste auf der Welt. Passt nur nicht, dass
geschiedene Frauen mit Kindern schwuppdiwupp wieder arbeiten müssen, dabei
immer Hartz 4 im Blick – wir waren schon mal weiter. Aber es ist ja, so der
Biologe Ulrich Kutschera (schade, der Link ist inzwischen tot), ohnehin „evolutionär bedingt, dass die Männer die
Frauen verlassen.“ Gut zu wissen, das Mutterwerden will folglich gut überlegt
sein.
Ich seh’s jetzt auch mal biologisch: Die Spezies des
Hausmanns, heute öfter „Vater in Erziehungszeit“ genannt, kommt zwar eher
selten vor, gedeiht aber relativ gut in einem Habitat der Verbeamtung und
besser verdienenden Frau.
Unterhaltungen mit solchen Vätern haben mir
Interessantes zutage gefördert: Viele leiden, exakt wie ihre Kolleginnen in
Erziehungszeit, an einer aufgezwungenen Mittelmäßigkeit.
Und weil das, nicht zuletzt in unserer auf (messbare, sichtbare, prahlbare …)
Leistung getrimmten Gesellschaft, eine lästige Bürde ist, tut man natürlich
viel dafür, sie weiterhin weiblich zu etikettieren (läuft doch!).
Denn was ist es anderes als Mittelmäßiges, wenn Wissen und Aktivitäten in
die Breite gehen statt (professionell ...) in die Tiefe? Familienarbeit zu
tun, ist bekanntlich kein Ausbildungsberuf, man ist immer Autodidakt/in. Da helfen auch die brutalen Forderungen nach
Elternführerscheinen nichts (bestimmt nicht, nie).
Auf diesem Nährboden wächst eine Art Verächtlichkeit,
die ziemlich merkwürdig ist: Einerseits fordert die Gesellschaft, dass die
Familienarbeit getan wird. Andererseits klebt sie im gleichen Atemzug das
Etikett „nicht erwähnenswert“ auf. Ich schrieb in einem anderen Blogeintrag: „Das
habe ich die letzten zwanzig Jahre gemacht: Morgens um sechs Vokabeln
abgefragt, medizinische Erstdiagnosen gestellt, 1000 Fragen im Handumdrehen
beantwortet, Express-Nachhilfe gegeben, Küchendienst, Einkaufs-, Aufräum-,
Putzdienst. Bremsen und Tunen, alles zu seiner Zeit.“ Aber nichts davon macht
man, wie gesagt, professionell – hat man ein pädagogisches Studium absolviert,
dann fehlt einem das medizinische; auch wenn man (wie ich) ein Lehramtsstudium
abgeschlossen hat, dann kapituliert man trotzdem irgendwann in Mathematik, Französisch
oder Chemie.
Und sollte man doch irgendwo professionell agieren („beraten“)
können, dann schiebt spätestens die Pubertät einen verneinenden Riegel davor: Immer
du mit deinem … ätzenden … langweiligen …
Dazu: Als Lohn ein Lächeln im Deutschlandradio Kultur
Interessant in diesem Zusammenhang, dass immer wieder die Professionalität der KiTas betont und damit die Familienarbeit aufs Neue zusammengestutzt wird.
Interessant in diesem Zusammenhang, dass immer wieder die Professionalität der KiTas betont und damit die Familienarbeit aufs Neue zusammengestutzt wird.
Ich wollte früher lieber ein Mann sein. Da ging es noch
nicht um Körperbau und Sexualität – ich war noch im Grundschulalter –, sondern
ich „genderte“ brummelnd vor mich hin, weil mir klar war, dass mich Haushalt
und Alltagskram nie besonders interessieren würden. Mein Vater, der gut kochen
konnte, tat das in seinem Urlaub oder wenn er es wollte. Meine Mutter kochte
schlechter, tat es aber täglich. Alle Mütter kochten. Aber professionell waren
die Köche – Männer. Da stimmte was nicht.
Ebenso unstimmig war die Tatsache, dass meine Mutter nur
ein Kind wollte und dafür eher Feindschaft als Verständnis erntete. Ich fand
das okay so und verstand nicht, dass unsere Verwandtschaft und Bekanntschaft
ständig mit irgendwelchen pädagogischen Sprüchen kamen oder nasehochziehend das
Wort „Einzelkind“ aussprachen. Selbst kürzlich habe ich das noch einmal gehört. Wahrscheinlich hat mich meine Mutter durch
manche selbstbestimmte Entscheidung auf die richtige Fährte gesetzt. Die Männer oder die Frauen wurde bei uns auch nie gesagt. Etwas galt für A oder B,
aber niemals für eine ganze Gruppe.
Aber nun wachsen konservative Biologen wie Pilze aus dem
Boden und erzählen uns wie der Professor Kutschera, dass Männer – rein
evolutionär bedingt natürlich – jüngere hübsche Frauen bevorzugen, die im
übrigen „nicht besonders wortgewandt sind“. Komisch, angeblich sind (DIE) Frauen ja
sprachbegabter als (DIE) Männer. Das ist aber gaaaar nicht gut für den Fortbestand unserer
Art … Kommunizieren wir also am besten wieder steinzeitmäßig.
Marlies Blauth
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