„Blogstöckchen“
Dein schönstes Kindergebet,
der schlimmste Vers im Glaubensbekenntnis?
Das ist eine merkwürdige Frage, deren Genese ich nicht so recht entschlüsseln
kann: Vermittelt sie doch den Eindruck, dass Kindergebete schön gemütlich sind,
während es im Glaubensbekenntnis „schlimm“ zur Sache geht.
An die Kindergebete erinnere ich mich kaum, ich mochte dieses Ritual nicht
besonders. Eine Ausnahme gab es: Wenn meine Eltern nicht da waren und Oma oder
Tante mich zu Bett brachten, war das Abendgebet etwas Vertrautes. Im
Kleinkindalter hing ich sehr an meinen Eltern, und wenn das Cello im Flur
stand, wusste ich: Es war wieder ein Musikabend angesagt, meine Mutter machte
sich bereits schick und würde mich also in Kürze „verlassen“, mein Vater
sowieso, weil er das Orchester leitete. Dann schmollte ich und konnte meine
Betreuerinnen schon deshalb nicht leiden, weil sie meine Eltern gewissermaßen
ersetzen sollten, was ihnen aber natürlich unmöglich war.
Mit Oma Marie versöhnte ich mich dann aber doch irgendwann. Sie bevorzugte meistens die erste Strophe des Brahmsschen
Wiegenliedes:
Guten Abend, gute Nacht,
mit Rosen bedacht,
mit Näglein besteckt
schlupf unter die Deck.
Morgen früh, wenn Gott will,
wirst du wieder geweckt.
Das fand ich spannend, besonders wegen der „Näglein“. Man erklärte mir
zwar, dass damit Nelken gemeint seien, aber es hieß ja nun mal Näglein. Auch
das „schlupf“ fand ich komisch. Die Frage, ob Gott will oder eben irgendwann nicht mehr will, dass ich am kommenden Tag geweckt werde, stellte ich mir nicht (das tue ich erst heute). Allerdings war
es schon interessant zu wissen, dass man als Mensch nicht unbedingt Einfluss
auf alles hat: Die Natur, die Pflanzen, die Tiere, die
Jahreszeiten waren einfach, ganz ohne
unser Zutun.
Irgendwann konnte ich meine Mutter dazu bringen, die Kindergebete ad acta
zu legen, das freie Gebet war angesagt, und zwar allein. Es wurde ein allabendlicher
Wunschzettel, der vermutlich an Skurrilität kaum zu überbieten war – was eben
Vier- oder Fünfjährige so verhackstücken. Die Bitte, meine Eltern noch lange
leben zu lassen, wurde gekoppelt mit einem „Lass meine Mutter nicht erfahren,
dass…“. Höchste Gewissensnöte brachte mir folgender Vorfall: Meine Eltern waren
tagsüber nicht da, meine 19-jährige Tante hatte Kinderdienst. Wir wollten einen
Spaziergang machen oder einkaufen gehen, ich flötete „Ich geh schon mal raus
vor die Tür“. Dort traf ich meine Sandkastenfreundin Susi, die mich gleich
mitnahm ins überübernächste Nachbarhaus, um mir frisch geschlüpfte Hühnerküken zu
zeigen. Mit dem Gedanken, dass ich ja in Windeseile zurücksein würde, lief ich
also mit, ohne mich abzumelden. Für meine Tante war es natürlich ein Riesenschock,
da mich aus ihrer Sicht der Erdboden innerhalb weniger Minuten spurlos
verschluckt hatte. Es war nicht richtig, das sah ich ein – und betete inbrünstig
gegen das Donnerwetter meiner Eltern. Es ließ sich tatsächlich ertragen.
Gegen das Glaubensbekenntnis hatte ich früher gar nichts, denn es war ja
etwas „Richtiges“ und kein Kinderkram. Heute ist es – das apostolische – mir nicht
so sympathisch, ich lese es als eine Art trockene Bilanz ohne die literarisch-starken
Bilder, die ich heute hin und wieder der Bibel entnehmen kann. Am wenigsten mag
ich die Stelle „… von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die
Toten“. Das ist mir so zu brutal formuliert. Wo ist im Glaubensbekenntnis die
Liebe? Am ehesten noch in der Schöpfung
am Anfang und in der Gemeinschaft der
Heiligen gegen Schluss. Diese Gemeinschaft der Heiligen hat mich früh
fasziniert, viel mehr als jedes Kindergebet, ich meinte immer zu spüren, wie
sie mir auf die Schulter tippen und mich dabei haben wollen. Und es war mir klar: Es müssen ganz, ganz viele
sein.
Das nizänische Glaubensbekenntnis halte ich für ungleich stärker. Da ist
auch das Richten der Lebenden und der
Toten ganz anders eingebettet. Zwar ist auch dort wenig bis gar nicht von der christlichen Liebe die Rede, aber da die Sprache spiritueller ist,
bekommt man wenigstens eine Ahnung des Göttlichen mit.
Was würdest Du als Päpstin
oder Kirchenpräsident als erstes tun?
Wenn ich Päpstin werden könnte, dann wäre zwar ein wichtiger Schritt – Frauen
in hohen kirchlichen Ämtern, sogar im allerhöchsten – erfreulicherweise getan. Aber
die Tatsache, dass sie mich wählen müssten, wäre ein untrügliches Zeichen
dafür, dass die Kirchen wahrhaftig am Stock gehen: Ich wäre absolut ungeeignet.
Sollte sich die Kirche in
der Tat mehr „Beulen“ holen?
Ich meine nicht, dass sie es „soll“, denn Beulen sind nicht konstruktiv.
Aber sie wird nicht drumherum kommen, hin und wieder Blessuren einstecken zu
müssen: Denn gesellschaftlich ist viel zu beackern, und nicht jedem gefällt das
im einzelnen. Mich wundert, dass Kirche nicht viel mehr, also lauter gegen eine
stärker werdende autoritäre Stimmung angeht, die immer wieder mit ach so vernünftigen
Argumenten daherkommt. Da wird einfach was um-definiert: Wenn ich schon höre Altersvorsorge… klingt nach Vernunft,
nach dieser Geschichte vom Eichhörnchen, das für den Winter vorsorgt, im
Gegensatz zu irgendeinem anderen Tierchen, das einfach nur lebt und nicht an
den Winter denkt und schließlich nach dem Prinzip selbst schuld Not leiden muss. Tja nun… dabei hatte man uns doch
früher mal glauben (!) gemacht, dass Arbeiten die Altersvorsorge schlechthin
ist. Das war naiv. Jetzt ist unser Leben ein einziges Vor-Sorgen: „Wie willst
du denn mal… wenn du jetzt nicht… ?“ Gibt es nicht sogar Bibelstellen als
Gegenkraft dazu? Bevor wir uns zu Tode sorgen: Kirche, zeige deine Stärken und
geh gegenan. Aber du bist zur Zeit ja ziemlich mit deiner eigenen Vorsorge
beschäftigt. Leider.
Das Stöckchen mit den Fragen wurde mir zugeworfen von Wilfried.
Das Stöckchen mit den Fragen wurde mir zugeworfen von Wilfried.
2 Kommentare:
bei dem wiegenlied handelt es sich eigentlich um ein totenlied und das wiedergeweckt werden bezieht sich auf die auferstehung. es stammt aus einer zeit, da kindstot zum alltag gehörte. die nägel sind tatsächlich dann auch die sargnägel und keine nelken und das rosendach der sargschmuck... als kind hörte ich das lied gerne. zu hinterfragen begann ich es erst, als ich es meinem sohn vorgesungen habe. und prompt kam von ihm die frage, wieso gott ihn womöglich nicht aufwecken würde wollen. es hat ihm angst gemacht und wir haben lange dran gearbeitet, dass er wieder ohne angst schlafen ging. nie wieder haben wir das lied für ihn gesungen...
lieben gruß
dania
Danke sehr für die Informationen! Hier http://de.wikipedia.org/wiki/Guten_Abend,_gut%E2%80%99_Nacht scheint das allerdings nicht so eindeutig zu sein.
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