Sonntag, 1. Dezember 2013

[Glosse] Korrekturen






Korrekturen


Man kann es auch übertreiben. Bei Twitter beispielsweise meldet sich hin und wieder @Der_Oberlehrer zu Wort, vermutlich ein Bot, der (fast) alles auffischt, was nicht der Rechtschreibung entspricht, und es so sklavisch wie unerbittlich ahndet. Wenn wir uns, was durchaus vorkommt, mal ganz nostalgisch einen Ausflug – Ausfluch – ins Ruhr(gebiets)deutsch gönnen, labert dieser Oberlehrer dazwischen, dass das so nicht geht: Es müsse Ausflug heißen. Na gut. Es sei ihm verziehen – sieht er sich doch offenbar selbst als ironische Figur, sein Avatar ist denn auch von Wilhelm Busch geklaut. Wie hieß der noch? Richtig: Lehrer Lämpel.  

Genauso fühle ich mich manchmal. Und, besonders schlimm: immer öfter. Nicht, dass ich selbst alles richtig schreiben würde – ich bin ein Mensch, kein Roboter oder Bot. Aber ich habe doch noch die – wohl altertümliche – Vorstellung, dass man alles, was man auf irgendeine Weise losschickt, nochmal durchlesen und gegebenenfalls verbessern sollte. Meinen Kindern ist das natürlich sehr lästig, wenn Mama, die Oberlehrerin, wieder was findet – wobei sie nicht unterscheidet zwischen der konventionellen Hausaufgabe und der Veröffentlichung im Netz, zumindest wenn es um einen ausgewachsenen Blogeintrag geht. Tweets erledigt ja der Oberlehrer – ob der auch bei facebook seine Oberpedanterie zur Schau stellt, weiß ich nicht.

Wenn ich Entwürfe bekomme für einen Einladungsflyer – für meine eigene Ausstellung – oder „meine“ Seite in einem Kunstkatalog, is‘ klar, dass ich dann nach bestem Wissen korrigiere. Im Zweifelsfall bleibt ein Detail natürlich so, wie es ist; die letzte Rechtschreibreform hat mich mit all den späteren Überarbeitungen und auch dem mehrheitlichen Ignorieren mancher Aufgepropftheiten ziemlich irritiert, beispielsweise was Zusammen- und Getrenntschreibung betrifft. Aber die allerdicksten Schoten will ich denn doch nicht an meinen Namen geheftet sehen. Und zwar auch nicht die typografisch falschen – der Schriftsatz hat nämlich seine eigenen Gesetze (ja, hat er!), die genauso wichtig sind wie die Orthografie. Seit nahezu jeder was in die Tasten kloppt und es schnurstracks veröffentlicht, ergeben sich da neben den Rechtschreibregeln noch andere tückische Abgründe. Für beide Klippen gilt: Jeden Fehler, den man selbst macht, findet man mit Sicherheit irgendwo bestätigt. Siehste.
Wenn der Metzger sein Steak-Sonderangebot auf das maisgelbe oder froschgrüne A5-Zettelchen kopiert, muss das ortho- und typografisch nicht unbedingt stimmen (auch wenn es erfreulich wäre). Wir Künstler haben aber naturgemäß mit – möglichst guter – Gestaltung zu tun und wollen, dass sich das auch im Schriftkram, der sich mit unserer Arbeit befasst, widerspiegelt.

Als Designstudentin hatte ich natürlich auch „Typo“ abzusolvieren. Ganz vorsintflutlich noch – mein Praktikum machte ich noch in einer Blei(!)-Setzerei. Und ich besuchte mal jemanden, der an einer Blei-Setzmaschine – für eine Zeitung – arbeitete: Man muss sich vorstellen, dass auf Tastendruck jede Bleiletter neu gegossen und eingepasst wurde. Deswegen auch dieses Monstrum von Maschine, deren lustiges Pling-pling mir heute noch im Ohr klingt. Wir alle wissen: Da hat sich in relativ kurzer Zeit Enormes verändert, ja umgekrempelt.
Nicht wesentlich geändert haben sich allerdings die typografischen Normen. Mit unserem „Oberlehrer“ damals verstand ich mich recht gut, als Semesterarbeit lieferte ich ihm was Lustiges, nämlich einen „typografischen Eintopf“. Ich kaufte alles, was erschwinglich war – auch einige Suppendosen, daher der Titel – , auf dessen Etiketten entweder supergut umgesetzt oder aber regelrecht verhöhnt war, was wir gerade gelernt hatten. Mir machte es Spaß, mit typografischem Blick durch die Gestaltungslandschaft zu streifen, aber am wichtigsten war für uns zu lernen und alsbald zu wissen, dass es solche Übereinkünfte für die Schriftanwendung überhaupt gab. In der Schule hatten wir davon noch nie etwas gehört.

Dass sogar „Professionelle“ noch immer das „ß“ in Versalien – Großbuchstaben – betten (wie wir früher in der Schülerzeitung), obwohl dieser Ausreißer eben kein Großbuchstabe ist und dafür bloß ein schlichtlangweiliges Doppel-S zu bieten hat, wundert mich genauso wie die sture Weigerung, einen Gedankenstrich zu benutzen. Der Trennstrich tut’s auch – ja, sicher. Nur: Auf allem, was gut gestaltet ist oder sein will im Sinne von soll, fällt’s auf. Dafür liest man, wohl als eine Art Ausgleich, dass Doppelnamen wie Marie – Luise Blauth – Drachenkopf gern mal gedanklich auseinander gezogen werden. Da wäre der Sinn dieses Gedankenstriches „übersetzt“ aber ein bis: 15 – 17 Uhr.

Ja, und dann steht es da, steht man da. Soll man es so lassen oder nicht? Der Ton wird schärfer, denn, siehe oben: Das Falsche wird ständig durchs Falsche beglaubigt. Was vor einiger Zeit noch Respekt einbrachte – musste ich nicht haben, ich erwähne es nur –, wird heute abgebügelt. Weil man es doch immer so liest, wird es auch richtig sein! Pingeltante Blauth!
Aber nicht nur der Ton wird schärfer, auch die Fehler werden doller. Es geht ja nicht nur um irgendwelche Spitzfindigkeiten, die korrigiert man eben mit oder nicht. Aber wenn eine Tabelle verrutscht, das Layout dilettantisch wirkt, Namen falsch geschrieben sind oder ganze Wörter fehlen, werde ich pampig, vor allem dann, wenn es sich um die schon korrigierte Fassung handelt. Meine Visitenkarten beispielsweise haben auf diese Weise einen entscheidenden Geburtsfehler erlitten: zu Tausenden fehlt ihnen jetzt eine Ziffer meiner Handynummer. Eigentlich sollte die Schriftfarbe nur etwas abgedunkelt werden. Ich habe diese letzte Version nicht nochmal angesehen, weil ja alles klar war. Es wäre falsch gewesen, Theater zu machen – es kommt ja immer auch drauf an, wer einem die Druckvorlage macht (ich selbst bin, wie gesagt, noch aus der Bleisatz-Generation), ob man vielleicht nochmal eine („bezahlbare“) braucht. Also nehme ich jetzt immer beherzt den Fineliner und ergänze die „3“ handschriftlich.

Was aber den Auslöser gab, diese kleine Korrektur-Glosse zu schreiben, ist die alleraktuellste Fehlerquelle, nämlich die Intelligenz der mobilen Geräte, die schon mal Wörter nach ihrem wie auch immer generierten Gutdünken abändert. Oder offenbar auch schluckt.
Die Kollegin fragte mich an Vortag, ob ich bei einer – unjurierten – Gruppenausstellung mitmachen möchte. Ich sagte: Ja – was aber durch gleichzeitig hinzukommende und sich verabschiedende Menschen möglicherweise etwas nebulös rüberkam. Als ich nun also eine Mail mit derselben Frage erhielt, schrieb ich ein fröhliches Ja, hatte ich doch schon bestätigt zurück. Dass das Wort „mitmachen“ fehlte, entdeckte ich zwar en passant, machte mir aber nichts draus: Kann ja mal passieren.
Die Künstlervereinigung traf sich, ich war – leider – verhindert. Sonst hätte ich noch gerade rechtzeitig meinen Protest loslassen können: Auf dem Treffen wurde nämlich erfreut konstatiert, dass ich bereit bin, die besagte Ausstellung zu organisieren. Dieses Wort war es, das in der Mail gefehlt hatte. 

Jetzt weiß ich, wie man als Jungfrau zum Kinde kommt!

Und demnächst, das schwöre ich, bin ich noch pingeliger als der Oberlehrer bei Twitter.



Marlies Blauth (bitte mit „e“ und mit „h“)








Foto und Text: © Marlies Blauth








2 Kommentare:

jahreszeitenbriefe hat gesagt…

Herrlich geschrieben und auf den Punkt gebracht. Ich habe am Wochenende auch an die 10 Stunden Korrektur gelesen und mir manchmal die Haare gerauft, als ob es Trennungs- und Satzzeichenregeln gar keine mehr gäbe, vom inzwischen wohl unumkehrbar eingedeutschten "englischen" Genitiv und regelrechter Grammatik ganz zu schweigen... Wir sind also dann schon zwei, die da mal pampig werden können... Lieben Gruß Ghislana

Marlies Blauth hat gesagt…

☻ Das "Doofen-Komma" und der entsprechende Apostroph – Karlo Krokodil's Imbiss – fehlen leider, sonst wäre der Text zu lang geworden. Ich habe eine gewisse Gleichgültigkeit "angesetzt"; aber 1. will ich nichts für fehlerhaftes Zeug zahlen (z. B. schlecht redigierte Zeitungen) und 2. möchte ich, wie im Text schon erwähnt, nichts nachlässig Gestaltetes haben, wenn es um meine eigenen beruflichen Belange geht. - Danke für Deine Bestätigung, Ghislana!