Dienstag, 16. Dezember 2014

2014 – Beginn eines Jahresrückblicks









Jahresende


Wenn sich die Tage zusammendrücken
man fahle Reste aufsammeln muss
und die Gedanken schon renoviert
im Hintergrund stehen

An den Schuhen der Winter klebt
Schlieren aus Salz und Schnee
auf abgelaufenen Gründen
Erinnern verrinnt

Die Sonne
seifige Scheiben durchscheint
Schatten malt in ein fast leeres Haus
schauen wir noch einmal hinein

Und wissen es passt nicht mehr



I
Ja, es ist wieder soweit: Wir haben Mitte Dezember, das alte Jahr ist noch „da“, verabschiedet sich aber irgendwie schon.
Ich beginne zurückzuschauen – auf mein „persönliches“ Jahr, also erst einmal ohne den Blick auf die weltpolitischen Wirrungen: In und nahe meinen vier Wänden war es ein eher ruhiges. Vor allem habe ich in den letzten zwölf Monaten geschrieben: Meine Gedichtsammlung (ein paar Beispiele) erhielt auf diese Weise einen – endlich – stattlichen Umfang. Eine erste Kontaktaufnahme zu einem Verlag zeigte sich hoffnungsvoll, so dass in der ersten Hälfte 2015 vielleicht schon (m)eine erste Veröffentlichung, die über eine Anthologie hinaus geht, möglich wird. Aber noch ist nichts richtig festgezurrt; da heißt es also: Abwarten. Immerhin wurde im August 2014 mein Gedicht „atomkraftwerk“ als Monatsgedicht bei Unternehmen Lyrik ausgezeichnet, und ich habe an verschiedenen Orten gegen Honorar lesen dürfen; eine ziemlich neue Erfahrung für mich! Darunter war eine ausführliche, „ausgewachsene“ Lesung von fast 1 ½ Stunden; nach meiner eigenen lyrischen Dreiviertelstunde übernahm ich einen Großteil des Parts einer Kollegin, die kurzfristig absagen musste. Ein großartiges Lesetraining.
Ferner kam ich in den Genuss eines Ausstellungshonorars; etwas ganz Seltenes.
Diese „Bonbons“ versöhnten mich etwas mit dem – wohl allgemein – eher unterdurchschnittlichen Bilderverkauf. „Man“ hängt sich nicht mehr die Wohnung voller Bilder, im Augenblick sind innenarchitektonisch eher nur ein paar wenige Großformate angesagt. Immerhin habe ich einen (wieder-neuen, scheint mir) Trend zur Grafik festgestellt: meine Zeichnungen wurden in diesem Jahr schier mit Lob überschüttet, vor allem im Karl Ernst Osthaus-Museum, aber auch in der GEDOK-Ausstellung „Die Neuen“ in Wuppertal. Überhaupt – die GEDOK: Ich bin aufgenommen worden als Bildende Künstlerin und Literatin, und diese doppelte Anerkennung freut mich sehr.

Nach drei Jahren mit unschönen, leidvollen (persönlichen) Ereignissen, die mich zeitweise ziemlich lähmten, habe ich – trotz der angespannten weltpolitischen Lage – versucht, die Ruhe des Jahres 2014 schlichtweg zu genießen: arbeitsam, aber möglichst ohne Stress. Dazu gehörten unbedingt ein paar Kurzreisen (Beispiel) mit meinen (jüngeren) Kindern. Es waren wohl erst einmal die letzten Ausflüge – pubertierende Kinder bestehen bekanntlich darauf, ihre eigenen Wege zu gehen –, daher umso deutlicher das Gefühl, gemeinsame Unternehmungen noch einmal auszukosten.
Meine Älteste machte in diesem Jahr ihr Abitur – mit einem Bilderbuch-Ergebnis, das den jüngeren Geschwistern vermutlich Angst eingejagt hat –, und im Spätsommer zog sie dann aus der Familienwohnung aus, um zwar noch in ziemlicher Nähe, dennoch außer der elterlichen Reichweite ihr Studium zu beginnen. So soll es sein; ist aber natürlich eine ganz neue Erfahrung, wenn die Belegschaft schrumpft und man weiß, dass es so weitergehen wird. Man erkennt als Mutter einige Relikte, ja, aus dem Tierreich: Die Nachkommen verlassen das Nest. Es ist nicht ganz so schlimm wie bei den Tintenfischen, bei denen die weiblichen Tiere nichts anderes tun als ihre Brut zu beschützen – also wirklich: auch die Nahrungsaufnahme vergessen (müssen) –, und wenn die Kleinen dann soweit sind, ins offene Meer hinaus zu schwimmen, ist die Mutter dermaßen entkräftet, dass sie, nun aufs Neue unterwegs, von irgendeinem Raubfisch leicht und schnell vertilgt wird. Das war’s dann.
So ist es bei den Menschen zum Glück nicht. Dennoch fragt man sich, wohin die nun beinahe zwanzig Jahre verschwunden sind. Hineingetaucht ins Familienleben bin ich fast noch mädchenhaft, jedenfalls schlank und rank. Nun bin ich um einige deutliche Kilo behäbiger geworden. Unlogischerweise haben sich zusätzlich Falten gebildet – ich bin mittlerweile im Stadium zu hoffen, dass sie als weltoffene Lach- und nicht als kleingeistige Ärgerfalten erkennbar sind.

II
Wenn man allerdings hinausblickt ins Geschehen vor der Haustür, sind „Ärgerfalten“ an der Tagesordnung. Man muss sich ja wirklich fragen, was manche Bürger da gerade anstellen. Und welchen Teil der Wahrheit transportieren die Medien jeweils und wozu? Was bekommen wir trotz unserer Vernetzung überhaupt mit, was wird unter dem Tisch gehalten (ich will gar nicht sagen „verschwiegen“), was verzerrt, was verklärt?
Fremdenfeindliche Demonstrationen wachsen aktuell herauf, bösartig wie Hydra-Köpfe. Natürlich gedeihen diese Parolen auf unsäglicher Dummheit. Ich fürchte aber, sie sind auch dadurch getriggert worden, dass wir Tag für Tag Begriffe wie „Islamisierung“, „Kopftuchstreit“ auf der einen Seite, auf der anderen „Gutmenschen-“ und „Versteher“tum zu lesen bekommen (falls jemand irgendwelche sozialen und toleranten Anwandlungen haben sollte, die eventuell auf dem Christentum fußen, jedenfalls auf einer Kultur), und dass über Jahre so nervig wie erfolgreich daran gearbeitet wurde, religiöses Denken zu beschneiden, indem beispielsweise die christliche göttliche Trias durch einen Gott der Vernunft ersetzt wird – schön ist da immer der beinahe inqusitorische Begriff vermeidbar – und mit forciertem Ausblutenlassen ein Vakuum geschaffen wurde. Die plötzlich empfundene Leere wird mitunter so hektisch wie unsachlich aufgefüllt, und zwar mit so unguten Inhalten, dass einem übel werden kann. 
Mich erstaunen immer wieder diese irrationalen Nebengötter, die uns durch vernebelte Vernunft zuwinken. Ich verstehe zum Beispiel nicht, dass sich eine Evangelische Nachrichtenagentur (sogar wohl eine ziemlich „evangelikale“?) auf aufklärerisch-skeptische Quellen beruft und sich gemein macht mit expliziten Religionsfeinden, nur weil es so schön ist, über Wahrsagerei meckern zu können. Klar, niemand soll Neppern, Schleppern oder Bauernfängern in die Hände fallen. Aber wir haben wohl dringlichere Probleme als die Frage, ob jemand Geld zum Wahrsager trägt, ja an ihn „glaubt“. Die Sorgen, die man sich da macht, halte ich für marginal, bisweilen für heuchlerisch. Rufen die paar Hellseher etwa ansatzweise jenen Welt-Murks hervor, von dem wir langsam ahnen, dass er uns alle betreffen wird? Was ist beispielsweise mit unseren „Gottesdiensten“, die zur Anbetung des Konsums, der Konsumfähigen auffordern? Macht sich da irgendwer Sorgen, da könnte jemandem das Geld aus der Tasche gezogen werden? Wäre das nicht ein Ort, wo man Ratio und Glauben gegeneinander ausspielen müsste? Aber nein, das Fettsein und Sattsein (und es sichtbar vor sich herzutragen) ist noch immer ein Ziel, zu dem man – auf jedem Schritt ein bisschen bewunderungsheischender – unterwegs ist. Wenn ich den Lärm, sorry, den Sound mancher hochpreisigen Autos höre, frage ich mich manchmal, was wäre, wenn wir – aus welchen Gründen auch immer – zuhauf irgendwelche Billigtuckerdinger hätten, die genauso laut sind: Der empfindliche Deutsche würde anfangen zu krakeelen, dass seine Mittagsruhe gestört wird. Gleichwohl weiß er der die billige Lautstärke von der edlen zu unterscheiden; letztere nötigt ihm neidvolle Bewunderung ab, die den Mittagsschlaf gern einmal unterbrechen darf. Diese hochgradige Irrationalität akzeptiert der Gott der Vernunft? Aha.
Der Kampf gegen Religion fällt leicht: In meiner kleinen satirischen Geschichte „Du sollst nicht Weihnachten sagen“ (noch unveröffentlicht) ist dieser blödsinnige Kampf ein paar Jahre weiter gedacht. Es gibt realiter Menschen, die beklagen bereits St. Martin im Kindergarten – als zu christlich. Man müsse zumindest in Städtischen Kindergärten von so’nem Kram verschont bleiben, heißt es. Dazu fällt mir nur Satirisches ein.
Denn da haben wir’s: jenes Vakuum, das ungute Füllstoffe mit Vehemenz in sich hineinschlürft. Die Randgruppen trudeln ins Zentrum des Geschehens und posaunen Töne, die einige kakophonische Assoziationen, ja Parallelen hervorrufen und aufzeigen. 
Vielleicht sollte man als erstes mal auf seine eigene Kultur schauen, die man – bequemlicherweise – in den letzten Jahrzehnten elend vernachlässigt hat. Das wäre eine Baustelle. 
Wie viel (oder überhaupt: was für eine) Kultur sollte denn auf einer Geisteshaltung wachsen, welche „stets verneint“? Aber natürlich sind wieder die Anderen schuld ... 

Ich glaube an den Heiligen Geist: Die gute – vielleicht göttliche – Idee. Ja.



Bild und Text/e ©Marlies Blauth








1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

liebe Marlies!

ich bin das ganze jahr hindurch immer wieder gerne der fährten deiner zeilen und bilder gefolgt.
für mich war und ist dein blog eine große bereicherung und ich wünsche dir, dass deinen werken weiterhin respekt gezollt wird.

ich freue mich auf eine weitere jahresreise durch deine welt!

alles liebe
gabriele