Jahresende
Wenn
sich die Tage zusammendrücken
man
fahle Reste aufsammeln muss
und die
Gedanken schon renoviert
im
Hintergrund stehen
An den
Schuhen der Winter klebt
Schlieren
aus Salz und Schnee
auf
abgelaufenen Gründen
Erinnern
verrinnt
Die
Sonne
seifige
Scheiben durchscheint
Schatten
malt in ein fast leeres Haus
schauen
wir noch einmal hinein
Und
wissen es passt nicht mehr
I
Ja, es
ist wieder soweit: Wir haben Mitte Dezember, das alte Jahr ist noch „da“, verabschiedet
sich aber irgendwie schon.
Ich
beginne zurückzuschauen – auf mein „persönliches“ Jahr, also erst einmal ohne den Blick auf die weltpolitischen Wirrungen: In und nahe meinen vier Wänden war es
ein eher ruhiges. Vor allem habe ich in den letzten zwölf Monaten geschrieben:
Meine Gedichtsammlung (ein paar Beispiele) erhielt auf diese Weise einen –
endlich – stattlichen Umfang. Eine erste Kontaktaufnahme zu einem Verlag zeigte
sich hoffnungsvoll, so dass in der ersten Hälfte 2015 vielleicht schon (m)eine
erste Veröffentlichung, die über eine Anthologie hinaus geht, möglich wird.
Aber noch ist nichts richtig festgezurrt; da heißt es also: Abwarten. Immerhin wurde
im August 2014 mein Gedicht „atomkraftwerk“ als Monatsgedicht bei Unternehmen Lyrik ausgezeichnet, und ich habe an verschiedenen Orten gegen Honorar lesen
dürfen; eine ziemlich neue Erfahrung für mich! Darunter war eine ausführliche, „ausgewachsene“
Lesung von fast 1 ½ Stunden; nach meiner eigenen lyrischen Dreiviertelstunde
übernahm ich einen Großteil des Parts einer Kollegin, die kurzfristig absagen
musste. Ein großartiges Lesetraining.
Ferner
kam ich in den Genuss eines Ausstellungshonorars; etwas ganz Seltenes.
Diese „Bonbons“
versöhnten mich etwas mit dem – wohl allgemein – eher unterdurchschnittlichen
Bilderverkauf. „Man“ hängt sich nicht mehr die Wohnung voller Bilder, im
Augenblick sind innenarchitektonisch eher nur ein paar wenige Großformate angesagt.
Immerhin habe ich einen (wieder-neuen, scheint mir) Trend zur Grafik
festgestellt: meine Zeichnungen wurden in diesem Jahr schier mit Lob
überschüttet, vor allem im Karl Ernst Osthaus-Museum, aber auch in der
GEDOK-Ausstellung „Die Neuen“ in Wuppertal. Überhaupt – die GEDOK: Ich bin
aufgenommen worden als Bildende Künstlerin und Literatin, und diese
doppelte Anerkennung freut mich sehr.
Nach
drei Jahren mit unschönen, leidvollen (persönlichen) Ereignissen, die mich
zeitweise ziemlich lähmten, habe ich – trotz der angespannten weltpolitischen
Lage – versucht, die Ruhe des Jahres 2014 schlichtweg zu genießen: arbeitsam,
aber möglichst ohne Stress. Dazu gehörten unbedingt ein paar Kurzreisen (Beispiel) mit
meinen (jüngeren) Kindern. Es waren wohl erst einmal die letzten Ausflüge –
pubertierende Kinder bestehen bekanntlich darauf, ihre eigenen Wege zu gehen –,
daher umso deutlicher das Gefühl, gemeinsame Unternehmungen noch einmal
auszukosten.
Meine
Älteste machte in diesem Jahr ihr Abitur – mit einem Bilderbuch-Ergebnis, das
den jüngeren Geschwistern vermutlich Angst eingejagt hat –, und im Spätsommer
zog sie dann aus der Familienwohnung aus, um zwar noch in ziemlicher Nähe,
dennoch außer der elterlichen Reichweite ihr Studium zu beginnen. So soll es
sein; ist aber natürlich eine ganz neue Erfahrung, wenn die Belegschaft schrumpft
und man weiß, dass es so weitergehen wird. Man erkennt als Mutter einige
Relikte, ja, aus dem Tierreich: Die Nachkommen verlassen das Nest. Es ist
nicht ganz so schlimm wie bei den Tintenfischen, bei denen die weiblichen Tiere
nichts anderes tun als ihre Brut zu beschützen – also wirklich: auch die Nahrungsaufnahme vergessen (müssen) –, und wenn die Kleinen dann soweit sind, ins offene Meer
hinaus zu schwimmen, ist die Mutter dermaßen entkräftet, dass sie, nun aufs Neue unterwegs, von irgendeinem Raubfisch leicht und schnell vertilgt wird.
Das war’s dann.
So ist
es bei den Menschen zum Glück nicht. Dennoch fragt man sich, wohin die nun
beinahe zwanzig Jahre verschwunden sind. Hineingetaucht ins Familienleben bin ich fast noch
mädchenhaft, jedenfalls schlank und rank. Nun bin ich um einige deutliche Kilo behäbiger
geworden. Unlogischerweise haben sich zusätzlich Falten gebildet – ich bin
mittlerweile im Stadium zu hoffen, dass sie als weltoffene Lach- und
nicht als kleingeistige Ärgerfalten erkennbar sind.
II
Wenn
man allerdings hinausblickt ins Geschehen vor der Haustür, sind „Ärgerfalten“
an der Tagesordnung. Man muss sich ja wirklich fragen, was manche Bürger da gerade anstellen. Und welchen Teil der
Wahrheit transportieren die Medien jeweils und wozu? Was bekommen wir trotz unserer
Vernetzung überhaupt mit, was wird unter dem Tisch gehalten (ich will gar nicht
sagen „verschwiegen“), was verzerrt, was verklärt?
Fremdenfeindliche Demonstrationen wachsen aktuell herauf, bösartig wie Hydra-Köpfe. Natürlich gedeihen diese Parolen auf unsäglicher Dummheit. Ich fürchte aber, sie sind auch dadurch getriggert worden, dass wir Tag für Tag
Begriffe wie „Islamisierung“, „Kopftuchstreit“ auf der einen Seite, auf der
anderen „Gutmenschen-“ und „Versteher“tum zu lesen bekommen (falls jemand
irgendwelche sozialen und toleranten Anwandlungen haben sollte, die eventuell auf dem Christentum fußen, jedenfalls auf einer Kultur), und dass über Jahre so nervig wie erfolgreich daran
gearbeitet wurde, religiöses Denken zu beschneiden, indem beispielsweise die christliche göttliche Trias durch einen Gott der Vernunft ersetzt wird – schön ist
da immer der beinahe inqusitorische Begriff vermeidbar – und mit forciertem Ausblutenlassen ein Vakuum geschaffen wurde. Die plötzlich empfundene Leere wird mitunter so hektisch wie
unsachlich aufgefüllt, und zwar mit so unguten Inhalten, dass einem übel werden kann.
Mich erstaunen immer wieder diese irrationalen Nebengötter, die uns durch vernebelte Vernunft zuwinken. Ich verstehe zum Beispiel nicht, dass sich eine Evangelische Nachrichtenagentur (sogar wohl eine ziemlich „evangelikale“?) auf aufklärerisch-skeptische Quellen beruft und sich gemein macht mit expliziten Religionsfeinden, nur weil es so schön ist, über Wahrsagerei meckern zu können. Klar, niemand soll Neppern, Schleppern oder Bauernfängern in die Hände fallen. Aber wir haben wohl dringlichere Probleme als die Frage, ob jemand Geld zum Wahrsager trägt, ja an ihn „glaubt“. Die Sorgen, die man sich da macht, halte ich für marginal, bisweilen für heuchlerisch. Rufen die paar Hellseher etwa ansatzweise jenen Welt-Murks hervor, von dem wir langsam ahnen, dass er uns alle betreffen wird? Was ist beispielsweise mit unseren „Gottesdiensten“, die zur Anbetung des Konsums, der Konsumfähigen auffordern? Macht sich da irgendwer Sorgen, da könnte jemandem das Geld aus der Tasche gezogen werden? Wäre das nicht ein Ort, wo man Ratio und Glauben gegeneinander ausspielen müsste? Aber nein, das Fettsein und Sattsein (und es sichtbar vor sich herzutragen) ist noch immer ein Ziel, zu dem man – auf jedem Schritt ein bisschen bewunderungsheischender – unterwegs ist. Wenn ich den Lärm, sorry, den Sound mancher hochpreisigen Autos höre, frage ich mich manchmal, was wäre, wenn wir – aus welchen Gründen auch immer – zuhauf irgendwelche Billigtuckerdinger hätten, die genauso laut sind: Der empfindliche Deutsche würde anfangen zu krakeelen, dass seine Mittagsruhe gestört wird. Gleichwohl weiß er der die billige Lautstärke von der edlen zu unterscheiden; letztere nötigt ihm neidvolle Bewunderung ab, die den Mittagsschlaf gern einmal unterbrechen darf. Diese hochgradige Irrationalität akzeptiert der Gott der Vernunft? Aha.
Mich erstaunen immer wieder diese irrationalen Nebengötter, die uns durch vernebelte Vernunft zuwinken. Ich verstehe zum Beispiel nicht, dass sich eine Evangelische Nachrichtenagentur (sogar wohl eine ziemlich „evangelikale“?) auf aufklärerisch-skeptische Quellen beruft und sich gemein macht mit expliziten Religionsfeinden, nur weil es so schön ist, über Wahrsagerei meckern zu können. Klar, niemand soll Neppern, Schleppern oder Bauernfängern in die Hände fallen. Aber wir haben wohl dringlichere Probleme als die Frage, ob jemand Geld zum Wahrsager trägt, ja an ihn „glaubt“. Die Sorgen, die man sich da macht, halte ich für marginal, bisweilen für heuchlerisch. Rufen die paar Hellseher etwa ansatzweise jenen Welt-Murks hervor, von dem wir langsam ahnen, dass er uns alle betreffen wird? Was ist beispielsweise mit unseren „Gottesdiensten“, die zur Anbetung des Konsums, der Konsumfähigen auffordern? Macht sich da irgendwer Sorgen, da könnte jemandem das Geld aus der Tasche gezogen werden? Wäre das nicht ein Ort, wo man Ratio und Glauben gegeneinander ausspielen müsste? Aber nein, das Fettsein und Sattsein (und es sichtbar vor sich herzutragen) ist noch immer ein Ziel, zu dem man – auf jedem Schritt ein bisschen bewunderungsheischender – unterwegs ist. Wenn ich den Lärm, sorry, den Sound mancher hochpreisigen Autos höre, frage ich mich manchmal, was wäre, wenn wir – aus welchen Gründen auch immer – zuhauf irgendwelche Billigtuckerdinger hätten, die genauso laut sind: Der empfindliche Deutsche würde anfangen zu krakeelen, dass seine Mittagsruhe gestört wird. Gleichwohl weiß er der die billige Lautstärke von der edlen zu unterscheiden; letztere nötigt ihm neidvolle Bewunderung ab, die den Mittagsschlaf gern einmal unterbrechen darf. Diese hochgradige Irrationalität akzeptiert der Gott der Vernunft? Aha.
Der Kampf gegen Religion fällt leicht: In meiner kleinen satirischen
Geschichte „Du sollst nicht Weihnachten sagen“ (noch unveröffentlicht) ist
dieser blödsinnige Kampf ein paar Jahre weiter gedacht. Es gibt realiter Menschen, die
beklagen bereits St. Martin im Kindergarten – als zu christlich. Man müsse zumindest in
Städtischen Kindergärten von so’nem Kram verschont bleiben, heißt es. Dazu fällt mir nur Satirisches ein.
Denn da haben wir’s: jenes Vakuum, das ungute Füllstoffe mit Vehemenz in sich
hineinschlürft. Die Randgruppen trudeln ins Zentrum des Geschehens und posaunen Töne, die einige kakophonische Assoziationen, ja Parallelen hervorrufen und
aufzeigen.
Vielleicht
sollte man als erstes mal auf seine eigene Kultur schauen, die man – bequemlicherweise – in den letzten Jahrzehnten elend vernachlässigt hat.
Das wäre eine Baustelle.
Wie viel (oder überhaupt: was für eine) Kultur sollte denn auf einer Geisteshaltung wachsen, welche „stets verneint“? Aber natürlich sind wieder die Anderen schuld ...
Wie viel (oder überhaupt: was für eine) Kultur sollte denn auf einer Geisteshaltung wachsen, welche „stets verneint“? Aber natürlich sind wieder die Anderen schuld ...
Ich
glaube an den Heiligen Geist: Die gute – vielleicht göttliche – Idee. Ja.
Bild
und Text/e ©Marlies Blauth
1 Kommentar:
liebe Marlies!
ich bin das ganze jahr hindurch immer wieder gerne der fährten deiner zeilen und bilder gefolgt.
für mich war und ist dein blog eine große bereicherung und ich wünsche dir, dass deinen werken weiterhin respekt gezollt wird.
ich freue mich auf eine weitere jahresreise durch deine welt!
alles liebe
gabriele
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