Liebe Frau Burmester!
Gestern las ich, wie ich
das öfter mal mache, chrismon
unterwegs in der Bahn. Heft 07/2015 war dran, und damit auf Seite 44 auch Ihr
Text (online-Version hier).
Unsere Wattegesellschaft … ich assoziierte Helicopter-Eltern, abenteuerarme
Kindheiten und abgeschirmtes Lernen fürs Turbo-Abi. Wurde dann aber schnell
aufgeklärt: Es geht ums politische Unkorrektseindürfen. Man muss doch auch mal
„Du fette Kuh“ sagen können! Aber hallo!
Dass kräftiges Fluchen die Atemwege und Nervenkanäle durchpustet und befreit, das wussten nun auch
schon unsere Altvorderen. Die hatten zeitweise wohl ähnliche Gewissensbisse wie
Sie („wohlgemerkt, die Person hört es nicht“), etwas anders natürlich, daher
bastelten sie aus einem Verfl… ucht ein
etwas netteres Verflixt oder
schliffen, später, die verdammte K! zur
verdammten Hacke ab. Mit Verflucht war man lange übervorsichtig,
man weiß ja nie, wen genau, Himmel oder Hölle, man damit nachhaltig vergrätzt.
Lieber was anderes sagen … aber dasselbe meinen.
Und genau darum geht es –
im Wesentlichen – doch auch in Ihrem Text. Ums Herumeiern. Um sprachliche
Regulierungen, die wirken, als kämen sie vom semantischen Reißbrett. Als müsste
man sie, brav nach Vorschrift, mit spit-zem Mündchen ex-akt aussprechen. Dabei
wäre man hier und da lieber etwas vollmundiger und direkter. Ich versteh Sie da
vollkommen.
Und Euphemismen sind die
Cousinen der Heuchelei. Ich google gerade: „Glimpfwort, Beschönigung, Hehlwort,
Hüllwort oder Verbrämung“, so Wikipedia, das alles kann man statt Euphemismus
sagen. Glimpfwort – klingt das nicht wunderbar? Überhaupt würde mich mal die
jeweilige Genese verschiedener Beschönigungen interessieren. Und was sagen sie
über den Schönredner selbst aus? Was über die Adressaten? In welchen
Lebenslagen sind Euphemismen unangebracht, in welchen überlebensnotwendig? Wann
macht man sein Gegenüber damit zum unreifen Lernbedürftigen („ist nur ein
Rucks, nur ein Pieks …“)?
Aber Sie wollten ja vor
allem fluchen.
Bitteschön! Sie dürfen! Wo
ist das Problem? Heute sagt man ja auch längst nicht mehr verflixt. Nee, wohl eher so was wie verfickt nochmal
(ob chrismon das jetzt hätte
durchgehen lassen?). Und überhaupt: Von Diether Krebs selig kennen wir seit langem die alte Planschkuh. Und wenn Sie eh im Auto
sitzen und Sie niemand hört, dürfen Sie noch viel mehr. Alle übergewichtigen
Kühe, Schweine, Pferde werden es überleben, und in die Hölle muss auch niemand
mehr (zumindest nicht im Verbreitungsgebiet von chrismon). Also: Schlechtes Gewissen ausschalten und ran! Kreative
Beispiele haben Sie ja schon selbst geliefert. Wobei ich finde, dass Erwachsene
niemals so einrosten sollten, dass sie Nachhilfe bei Vorschulkindern nehmen
müssen. Sprache ist so was Tolles, greifen Sie getrost in die Wortwunderkammer!
Und den Tonfall bestimmen
Sie ohnehin selbst. Heute mal etwas gnädiger? Oder irgendwas zwischen
oberfies und gemein?
Sie haben natürlich Recht:
Eine politisch korrekte Ausdrucksweise garantiert noch längst keine ethische
Grundhaltung. Etwas scheinbar Korrektes kann ich so ätzend aussprechen, dass
jeder Bescheid weiß. Und umgekehrt. Wenn mir mein Vater früher
freundlich-freundschaftlich auf die Schulter klopfte und mich mit „na du alte
Fischhaut“ begrüßte, kann ich die Mimik, den fröhlichen Unterton und alles, was
noch so mitspielt beim Sprechen, hier gar nicht wiedergeben.
Andererseits kennen wir das
verf… Wort Gutmensch. Daran wird sehr
schön sichtbar, wie man die arglose, gleichwohl respektvolle Bezeichnung ein guter Mensch zu einem Begriff mutieren
lassen kann, bei dem eine unglaubliche Verächtlichkeit mitschwingt.
Erstaunlich, dass es dieses Wort nochmal auf die Hitliste geschafft hat (manche
sagen, es stamme aus der Nazizeit, das ist aber nicht sicher) – denn ich bin ja
nicht die Einzige, die zumindest in ihrer Gesamtbilanz am Lebensende ein wenig
„Gutmensch“ sähe. Wer in drei Teufels Namen – jetzt fange ich auch schon an! –
kann was gegen verständnisvolle, hilfsbereite Menschen haben?
„Ich frage mich, wo wir als
Gesellschaft landen, wenn wir uns nicht mehr trauen, die Dinge beim Namen zu
nennen“, schreiben Sie. Wir sollen keine Vorsichtsgesellschaft werden.
Dazu sag ich jetzt mal: Da
bin ich ganz bei Ihnen. Weiter oben sprach ich vom „Herumeiern“. Damit meinte
ich, wohl ähnlich wie Sie, das übervorsichtige Sich-Fragen, ob es nun richtig
ist, diesen Begriff zu benutzen und jenen zu tilgen. Aber auch ich sage manche
Wörter nicht (mehr), weil sie eng assoziiert sind mit leidvoller Geschichte.
Vorsichtig zu sein, kann auch bedeuten, Fingerspitzengefühl zu haben.
Eine Vorsichtsgesellschaft
sind wir im Übrigen längst. Da können wir noch so schön über fette Planschkühe
lästern, die über die Straße watscheln und uns in unserer Eilfertigkeit
behindern – das macht uns nicht gerade selbstständiger oder mutiger.
Etwas beim Namen zu nennen
und zu ändern: Dabei sind wir wirklich verdammt zu zaghaft.
Ihre Marlies Blauth
1 Kommentar:
Den Brief find' ich Klasse! Liebe Grü0e, Mojo
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