Donnerstag, 9. Juli 2015

Eine Antwort


Liebe Frau Burmester!


Gestern las ich, wie ich das öfter mal mache, chrismon unterwegs in der Bahn. Heft 07/2015 war dran, und damit auf Seite 44 auch Ihr Text (online-Version hier).
Unsere Wattegesellschaft … ich assoziierte Helicopter-Eltern, abenteuerarme Kindheiten und abgeschirmtes Lernen fürs Turbo-Abi. Wurde dann aber schnell aufgeklärt: Es geht ums politische Unkorrektseindürfen. Man muss doch auch mal „Du fette Kuh“ sagen können! Aber hallo!

Dass kräftiges Fluchen die Atemwege und Nervenkanäle durchpustet und befreit, das wussten nun auch schon unsere Altvorderen. Die hatten zeitweise wohl ähnliche Gewissensbisse wie Sie („wohlgemerkt, die Person hört es nicht“), etwas anders natürlich, daher bastelten sie aus einem Verfl… ucht ein etwas netteres Verflixt oder schliffen, später, die verdammte K! zur verdammten Hacke ab. Mit Verflucht war man lange übervorsichtig, man weiß ja nie, wen genau, Himmel oder Hölle, man damit nachhaltig vergrätzt. Lieber was anderes sagen … aber dasselbe meinen.

Und genau darum geht es – im Wesentlichen – doch auch in Ihrem Text. Ums Herumeiern. Um sprachliche Regulierungen, die wirken, als kämen sie vom semantischen Reißbrett. Als müsste man sie, brav nach Vorschrift, mit spit-zem Mündchen ex-akt aussprechen. Dabei wäre man hier und da lieber etwas vollmundiger und direkter. Ich versteh Sie da vollkommen.

Und Euphemismen sind die Cousinen der Heuchelei. Ich google gerade: „Glimpfwort, Beschönigung, Hehlwort, Hüllwort oder Verbrämung“, so Wikipedia, das alles kann man statt Euphemismus sagen. Glimpfwort – klingt das nicht wunderbar? Überhaupt würde mich mal die jeweilige Genese verschiedener Beschönigungen interessieren. Und was sagen sie über den Schönredner selbst aus? Was über die Adressaten? In welchen Lebenslagen sind Euphemismen unangebracht, in welchen überlebensnotwendig? Wann macht man sein Gegenüber damit zum unreifen Lernbedürftigen („ist nur ein Rucks, nur ein Pieks …“)?

Aber Sie wollten ja vor allem fluchen.
Bitteschön! Sie dürfen! Wo ist das Problem? Heute sagt man ja auch längst nicht mehr verflixt. Nee, wohl eher so was wie verfickt nochmal (ob chrismon das jetzt hätte durchgehen lassen?). Und überhaupt: Von Diether Krebs selig kennen wir seit langem die alte Planschkuh. Und wenn Sie eh im Auto sitzen und Sie niemand hört, dürfen Sie noch viel mehr. Alle übergewichtigen Kühe, Schweine, Pferde werden es überleben, und in die Hölle muss auch niemand mehr (zumindest nicht im Verbreitungsgebiet von chrismon). Also: Schlechtes Gewissen ausschalten und ran! Kreative Beispiele haben Sie ja schon selbst geliefert. Wobei ich finde, dass Erwachsene niemals so einrosten sollten, dass sie Nachhilfe bei Vorschulkindern nehmen müssen. Sprache ist so was Tolles, greifen Sie getrost in die Wortwunderkammer!
Und den Tonfall bestimmen Sie ohnehin selbst. Heute mal etwas gnädiger? Oder irgendwas zwischen oberfies und gemein?

Sie haben natürlich Recht: Eine politisch korrekte Ausdrucksweise garantiert noch längst keine ethische Grundhaltung. Etwas scheinbar Korrektes kann ich so ätzend aussprechen, dass jeder Bescheid weiß. Und umgekehrt. Wenn mir mein Vater früher freundlich-freundschaftlich auf die Schulter klopfte und mich mit „na du alte Fischhaut“ begrüßte, kann ich die Mimik, den fröhlichen Unterton und alles, was noch so mitspielt beim Sprechen, hier gar nicht wiedergeben.

Andererseits kennen wir das verf… Wort Gutmensch. Daran wird sehr schön sichtbar, wie man die arglose, gleichwohl respektvolle Bezeichnung ein guter Mensch zu einem Begriff mutieren lassen kann, bei dem eine unglaubliche Verächtlichkeit mitschwingt. Erstaunlich, dass es dieses Wort nochmal auf die Hitliste geschafft hat (manche sagen, es stamme aus der Nazizeit, das ist aber nicht sicher) – denn ich bin ja nicht die Einzige, die zumindest in ihrer Gesamtbilanz am Lebensende ein wenig „Gutmensch“ sähe. Wer in drei Teufels Namen – jetzt fange ich auch schon an! – kann was gegen verständnisvolle, hilfsbereite Menschen haben?

„Ich frage mich, wo wir als Gesellschaft landen, wenn wir uns nicht mehr trauen, die Dinge beim Namen zu nennen“, schreiben Sie. Wir sollen keine Vorsichtsgesellschaft werden.
Dazu sag ich jetzt mal: Da bin ich ganz bei Ihnen. Weiter oben sprach ich vom „Herumeiern“. Damit meinte ich, wohl ähnlich wie Sie, das übervorsichtige Sich-Fragen, ob es nun richtig ist, diesen Begriff zu benutzen und jenen zu tilgen. Aber auch ich sage manche Wörter nicht (mehr), weil sie eng assoziiert sind mit leidvoller Geschichte. Vorsichtig zu sein, kann auch bedeuten, Fingerspitzengefühl zu haben.

Eine Vorsichtsgesellschaft sind wir im Übrigen längst. Da können wir noch so schön über fette Planschkühe lästern, die über die Straße watscheln und uns in unserer Eilfertigkeit behindern – das macht uns nicht gerade selbstständiger oder mutiger.
Etwas beim Namen zu nennen und zu ändern: Dabei sind wir wirklich verdammt zu zaghaft.



Ihre Marlies Blauth









1 Kommentar:

Mojo Mendiola hat gesagt…

Den Brief find' ich Klasse! Liebe Grü0e, Mojo