Es ist soweit – das Jahr 2016 klopft
an. Der neue Terminkalender, der kürzlich noch ziemlich leer schien, füllt
sich, während ich ab und zu den Blick schon rückwärts wende. Allerdings immer
nur hin zum persönlichen Mikrokosmos, das Weltgeschehen lasse ich außen vor, es
ist zu komplex – wenngleich es auch den Alltag immer mal wieder berührt.
So wurde uns zu Beginn des Jahres
das Atelier gekündigt, es wurde zur Kleiderkammer und Begegnungsstätte für
Flüchtlinge. Ich habe gemerkt, wie schnell man in eine „Bredouille“ geraten
kann. Denn ohne Frage: Solche Projekte sind notwendig und begrüßenswert; das
Procedere einer Kündigung aus heiterem Himmel aber, ohne jede Angabe von
Gründen und ohne Perspektive für uns Künstler, war indes unschön und belastend.
Ich hatte Glück – wenn auch nicht ganz pures. Ein wunderschönes neues Atelier fiel
mir zu, wie für mich gemacht. Dort konnte ich auch ziemlich bald arbeiten
(meine Seele braucht immer so lange, bis sie angekommen ist), nur gibt es eben
keine – städtische – Förderung mehr, und die Mietpreise des freien Marktes
stoßen leider ans Limit des Familienbudgets. Vielleicht symbolisch dafür, dass
nichts für die Ewigkeit gemacht (oder unterschrieben) ist, und dass man deshalb
jeden einzelnen Tag genießen sollte.
Das wurde mir auch auf andere
Weise vor Augen geführt, ja: vor Augen: Mitte des Jahres wurde eine
Netzhauterkrankung bei mir diagnostiziert. Die Sehstörung war und ist nicht
weiter schlimm/ beeinträchtigend, aber mit der – im übrigen noch nicht ganz
sicheren – Diagnose wuchs das Wissen darüber, was es alles für (fiese)
Netzhauterkrankungen gibt und dass man die alle (natürlich) nicht haben will.
Vielleicht, ich weiß es nicht, habe ich Glück: Mit etwas Disziplin – keinen
Kaffee, keinen Alkohol und möglichst eine tiereiweißfreie Ernährung – blieb die
Erkrankung bisher stabil, schritt also nicht weiter fort. Ein Grund, zu beten.
Auch: dankbar zu beten. Man nimmt an, dass Stress der Auslöser war, vielleicht
schon Stress vor ein paar Jahren. Ja, genau: Es hat vor längerem tatsächlich
einen stressvollen Zeitraum gegeben. Nur hatte ich gedacht, weitgehend ohne
Blessuren da rausgekommen zu sein. Jetzt habe ich leider doch ein „ewiges
Andenken“ – an die schwerste Zeit meines Lebens.
Auch dergestalt, dass ich also
mehr oder weniger zur Veganerin geworden bin. Dazu möchte ich anmerken, dass
ich in den letzten Jahren ohnehin zu der Ansicht gelangt bin, dass es ekelhaft
ist, sich dem täglichen „Industriefleisch“-Konsum zu verschreiben. Eine
Tierhaltung, die sich in einer Grauzone zwischen Leben und Tod abspielt, habe
ich immer öfter boykottiert. Man stelle sich vor: Tiere, denen nicht die Spur
von Lebensfreude vergönnt ist – während wir Menschen nichts wichtiger finden,
als Spaß am Leben zu haben. Diese Schieflage war mir lange schon suspekt.
Nun also vegan. Fast jedenfalls: okay.
Ungefähr ein halbes Jahr „trainiere“ ich das jetzt. Und wieder habe ich Glück:
Da ich fast alles mag, finde ich in jeder veganen Speisekammer irgendwas
Leckeres. Und wenn jetzt jemand meint „du isst meinem Essen ja das Essen weg“
(das gibt eine Glosse – ich schwör‘): Als Künstlerin lasse ich nichts aus, was
meinem Augenlicht Erholung verschaffen kann. Ein Schnitzel ist schnell
aufgegessen – während jeder Tag mit alltagstauglicher Sehkraft (die ganze Sehkraft
werde ich vermutlich nicht mehr wiedererlangen) ungleich wertvoller ist.
Und ich hatte nochmal Glück! Im
Sommer ist mein erstes Buch erschienen. Um korrekt zu sein: ein Büchlein. Klein
und schön. So wie sein Verlag. Mit Lob wurde nicht gespart, ich bin noch immer
ganz angerührt von den vielen positiven Reaktionen. Es war ein geradezu traumhafter
Einstieg – der mich zu einem nächsten Buchprojekt anspornte. Das Konzept steht,
ein paar erste Texte auch. Aber ich bin langsam wie meine Seele (siehe weiter
oben …); bis ich erneut etwa 90 tragfähige Texte geschrieben habe(n werde),
wird wohl noch mindestens ein weiterer Jahresrückblick notiert werden. Weil
nichts und niemand drängt.
Wieder wurden einige Gedichte in
Anthologien aufgenommen (ich meine, 2015 waren es besonders viele), es gab neue
interessante Kontakte – so zahlreich, dass die Absagen/ Rausschmisse (von
Texten im Bewerbungsverfahren) erfreulich-wenig Gewicht erhielten. Berührend
war auch, dass der Komponist Norbert Laufer in diesem Jahr fünf meiner Texte
vertont hat; drei Vertonungen waren am 1. November 2015 in der Epiphaniaskirche
Bochum zu hören (Ingo Hoesch, Orgel/ Justus Seeger, Bariton). Gleichzeitig
wurde eine Ausstellung mit meinen Cornelia Ernenputschs Arbeiten eröffnet –
eine schöne Zusammenarbeit, die wir in diesem Jahr gleich zweimal erfolgreich
ausprobiert haben (auch: in der Kanzlei Dr. Ganns, Heinekamp und Heibges/ Solingen-Gräfrath). Eine
dritte Doppel-Ausstellung erwies sich ebenfalls als sehr gute Kooperation: Unsere tägliche Ration in der Galerie
Hagenring, zusammen mit Helga Weidenmüller.
Last not least: Wenn jemand, mit
dem man ein längeres gemeinsames Projekt „durch“ hat, auf einer wunderschönen
Weihnachtskarte schreibt Danke für die
gemeinsame Zeit. Ich habe viel von Ihnen gelernt!, dann ist das wie ein
ganz kurzes Wiederaufleben jener Jahre an der Hochschule, hinter denen ich
manchmal herjammere.
Nein, ich jammere nicht! Ich bin dankbar für jeden
einzelnen Tag dieses Jahres. Und wünsche uns allen ein friedliches, ruhiges
(aber nicht langweiliges) 2016.
Marlies
Blauth
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen