Das Geld ist noch nicht da – aber heute wage ich schon einen Einstieg in mein Projekt, der nicht viel kostet: Ich besuche einen der letzten Kohlenhändler im Ruhrgebiet (August
Happe Heizöl und Kohlen in Dortmund-Hörde). Dass dieses Familienunternehmen ganz
in der Nähe meines Elternhauses liegt, gefällt mir natürlich außerordentlich.
Mein Fußweg dorthin, wie immer durch heimatliche Straßen und Landschaft, ist ein Vergnügen für mich.
Aber ich gehe erst noch ein paar Tage zurück: Vor fünf Tagen bekam ich
die Zusage, dass mein #Kohlestaub-Projekt mit einem Stipendium gefördert werden
kann. Nachdem mein Antrag auf Corona-Soforthilfe für KünstlerInnen schnöde im
Nichts verschwand und ich monatelang die A-Karte mit mir herumtrug (was meine
ohnehin depressive Corona-Laune nicht besser machte), ist das nun, so ungeahnt
wie rasch, ein wunderbarer Lichtblick. Und die Projektgebundenheit eine Herausforderung.
Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen: Jenseits
der Bahnlinie, an der Semerteichstraße, gab es ein Fachgeschäft für Künstlerbedarf. So etwas kannte ich „von
zu Hause“ nicht, da hatte man den Malkasten für die Schule und ’nen Bleistift, mehr nicht.
Und nun ein Blick ins Paradies!
Allein die besondere Atmosphäre: Hinter den rußgeschwärzten Häusern lag
ein idyllischer Hinterhof. Eine altmodische Tür führte in den Laden, darin reichten die Regale mit Farben und Papieren und Malmitteln bis hoch an die Decke. Den Freund,
der mir diesen Besuch im künstlerischen Traumland ermöglichte, amüsierte mein
endloses Staunen sehr; in seiner Familie waren alle irgendwie künstlerisch
tätig, er konnte sich mein Unwissen überhaupt nicht vorstellen. Zu meiner Ehrenrettung
sei erwähnt, dass es damals noch nicht den boesner-Katalog gab, mit Hilfe
dessen ich mich hätte informieren können.
Mein Staunen wandelte sich in Begeisterung und Rausch. M. hatte Geld dabei (ich nur Kleingeld), und ich, die niemals Schulden macht, kaufte ein: Für gut 80 DM, die mir nicht gehörten, wanderten die allerschönsten Farbtöne in meine Tasche: Olivengrün, Krapprot, Nachtblau und Neapelgelb. Damals, Anfang der 70er Jahre, war das eine erkleckliche Summe (zum Vergleich: ein paar Jahre später zahlte ich 170 DM Warmmiete für ein modernes, geräumiges Zimmer mit Kochnische und Bad); entsprechend groß war das Unverständnis meiner Eltern. Aber der Rüffel war mir egal, für mich öffneten sich Tore und Türen für ganz neue Aussichten, ich stand an einem Scheitelpunkt, an einem Markstein: Jetzt – jetzt beginnt die richtige Malerei!
Mein Staunen wandelte sich in Begeisterung und Rausch. M. hatte Geld dabei (ich nur Kleingeld), und ich, die niemals Schulden macht, kaufte ein: Für gut 80 DM, die mir nicht gehörten, wanderten die allerschönsten Farbtöne in meine Tasche: Olivengrün, Krapprot, Nachtblau und Neapelgelb. Damals, Anfang der 70er Jahre, war das eine erkleckliche Summe (zum Vergleich: ein paar Jahre später zahlte ich 170 DM Warmmiete für ein modernes, geräumiges Zimmer mit Kochnische und Bad); entsprechend groß war das Unverständnis meiner Eltern. Aber der Rüffel war mir egal, für mich öffneten sich Tore und Türen für ganz neue Aussichten, ich stand an einem Scheitelpunkt, an einem Markstein: Jetzt – jetzt beginnt die richtige Malerei!
Nicht ganz so voller Staunen, aber doch ähnlich glücklich reagiere ich
nun angesichts des Stipendiums: Es eröffnet mir jede Menge neuer Möglichkeiten.
Kommerzielle Anforderungen sind vorerst nicht mehr wichtig, ich darf sogar
etwas Geld ausgeben, wenn ich längs und quer durchs Ruhrgebiet fahre und später
meine Eindrücke ins Bild setze.
Ich mache heute den Anfang und hole mir ein paar Stücke Kohle, die ich zu Staub verschiedenster Körnung zerreiben und gestalterisch einsetzen
will. Zwar habe ich in den letzten Jahren schon verschiedene Kohlestäube
ausprobiert, die habe ich jedoch „fertig“ gekauft, edlerweise abgefüllt speziell für zeichnerische
Zwecke.
Nun also die authentische Variante.
Ein freundlicher Mitarbeiter von Happe gestattet mir einen Rundgang über
den Hof, er erläutert und erzählt. Das macht er manchmal auch mit
Kindergartengrüppchen aus der ehemaligen Kohle-Stahl-(und-Bier-)Stadt Dortmund,
die das „schwarze Gold“, das lange eine ganze Region prägte, noch nicht oder
besser nicht mehr kennen.
Diese Heimatsprache … wenn der Mann jeden dritten Satz mit diesem Woll?
beendet, das mir im Rheinland so fehlt! Ich höre, dass die Kohle heutzutage
aus China, Venezuela, England und Polen kommt (nur eine Sorte ist noch aus Ibbenbüren im Tecklenburger Land). Man kann es sich kaum
vorstellen, da wir ganz sicher gerade auf irgendwelchen Flözresten im Dortmunder
Süden stehen, da, wo die Kohle nicht so tief lag, zum Teil sogar an der Oberfläche,
so dass man sie bereits im Mittelalter einfach aufsammelte oder in kleinen Pütts
abbaute – laut Wikipedia erste Erwähnung 1302 in Schüren; dort, in Schüren, haben wir seinerzeit
mit der Schulklasse nach Versteinerungen/ Kohlestücken mit Pflanzenabdrücken
gesucht und gefunden.
Nun kauft man die Kohle also aus allen Teilen der Welt. Vergisst einfach, dass wir hier strengste und modernste Sicherheitsbedingungen hatten,
die man „woanders“ nicht unbedingt so eng sieht; ob es dort noch
Kinderarbeit im Bergbau gibt?
Aber die Zechenschließungen hierzulande stehen natürlich auch mit dem Niedergang fossiler Brennstoffe in Verbindung, es war ja nicht nur der Preiskampf. Wer heizt noch mit Kohle? Es gibt noch ein paar wenige Kohleöfen und -heizungen, vereinzelt Schmiede, die sie brauchen, ein kleiner Rest Stahlproduktion in Dortmund: Die Lieferaufträge sind auf ein Minimum geschrumpft, man kann es sich denken. Allerdings wäre man in meiner Schulzeit nicht darauf gekommen, dass der Braunkohleabbau eine längere Lebenszeit haben würde als die Steinkohleförderung.
Aber die Zechenschließungen hierzulande stehen natürlich auch mit dem Niedergang fossiler Brennstoffe in Verbindung, es war ja nicht nur der Preiskampf. Wer heizt noch mit Kohle? Es gibt noch ein paar wenige Kohleöfen und -heizungen, vereinzelt Schmiede, die sie brauchen, ein kleiner Rest Stahlproduktion in Dortmund: Die Lieferaufträge sind auf ein Minimum geschrumpft, man kann es sich denken. Allerdings wäre man in meiner Schulzeit nicht darauf gekommen, dass der Braunkohleabbau eine längere Lebenszeit haben würde als die Steinkohleförderung.
Ich nehme Eierkohle, Anthrazit (die so glänzt, als könne man Schmuckstücke
daraus machen), ein Brikett (der Fachmann sagt, das sei schon immer Braunkohle
gewesen … echt jetzt??) und ein paar Stückchen Schmiedekohle mit – und freue
mich.
Ich liebe die unprätentiösen Gegenden, durch die mich mein Rückweg führt;
ruhig ist es geworden hier, und sehr grün. Menschen, zu Fuß und auf dem Rad, sind
auf der Brücke, über die früher die Straßenbahn rumpelte. Ältere Männer und Eis
schleckende Kinder mit ihren Müttern sitzen auf Bänken, da, wo sich früher die Haltestelle befand.
Wie oft mag ich da auf die Bahn gewartet haben? Gegenüber befand sich einmal die Stadtteil-Bibliothek;
dort war ich ebenfalls oft, und wie gern! Sie lag in einer der oberen Etagen,
die offenbar irgendwann zurückgebaut wurden; ich erinnere mich an den Blick von
oben auf die Häuser, durch Bücherregale hindurch.
Ich nehme den Zug „in die Stadt“, wo ich noch in eine der großen Kirchen
will, ein Pflichtbesuch sozusagen, wenn ich in meiner Heimatstadt bin. Diesmal
ist es St. Petri, diese eigenartige Mischung aus Schlichtheit und überbordendem
Gold. Der kostbare Altar ist, aus klimatischen, konservatorischen Gründen,
hinter einer Glasscheibe zu sehen. Für mich noch immer gewöhnungsbedürftig,
auch wenn ich es natürlich einsehe. Ähnlich geht es mir mit meiner eigenen Maske,
die ich aufziehe, als ich die Kirche betrete.
St. Petri ist mir ans Herz gewachsen – wie die übrigen alten Kirchen der
Innenstadt, jede auf ihre Weise. St. Marien berührt immer wieder mein Herz, in St.
Reinoldi hatte mein Vater Orgelunterricht, später wurden dort im Rahmen einer Ausstellung Bilder von mir gezeigt; St. Petri aber befand sich Jahrzehnte
hinter einem Bauzaun, sie war die letzte, die nach der Weltkriegszerstörung
wieder aufgebaut wurde. Als sie dann fertig war, musste ich oft an
ihrer verschlossenen Tür rütteln – bis sie, endlich, auch außerhalb der
Gottesdienste zugänglich war (der Bauzaun hatte mich, wie eine Verhüllung oder
Verpackung, so dermaßen neugierig gemacht, was denn dahinter ist, gleichzeitig
waren die kriegszerstörten Gebäude eine Warnung und Mahnung an mich als Kind,
immer).
Demnächst bin ich an einer Lesung in dieser Kirche beteiligt, was mich
herzlich freut.
Mein Schreibzeug ist immer dabei; meine Maske im Zug hindert mich zwar am
Sehen und Denken, ich hoffe aber, dass mein Unterwegs-Schreiben nun wieder neu
inspiriert wird, so wie „vor Corona“. Es wäre wunderbar, wenn in den nächsten
Monaten ein neues Buch entstehen würde: Kohlestaub über Voluten, bevor er ganz
abgewaschen ist.
Marlies Blauth | 18. August 2020
Text und
Fotos © Marlies Blauth
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