Essen, Margarethenhöhe – Detailreichtum unter Denkmalschutz
Es gibt Orte, da packt einen die Nostalgie. Oder nein, sie nimmt einen an die Hand und sagt: „Komma mit auf Zeitreise“.
Die Margarethenhöhe, gestiftet von Margarethe Krupp in Kooperation mit
der Stadt Essen, gilt als erste Gartenstadt Deutschlands (siehe Wikipedia).
Ganz im Sinne des Werkbunds, genannt sei der Architekt Georg Metzendorf, wurde
hier in der Zeit von 1909 bis 1938 das Konzept des menschenfreundlichen Wohnens
(im Grünen, gute stringente Gestaltung, hochwertiges Handwerk) realisiert. Hier sollten Angestellte und Arbeiter des Kruppschen Gussstahl-Werks leben.
Sofort fällt die Harmonie dieser Stadt in der Stadt auf, eine Geschlossenheit
(nicht: hermetisch gemeint), die ihresgleichen sucht. Der Denkmalschutz, hier
seit dem Jahr 1987 in Kraft (leider konnte er den Abriss eines Bahnhofsgebäudes
nicht mehr verhindern), scheint hier streng zu wachen, denn die historische Gesamtform
ist in unglaublicher Weise bewahrt: keine Alu-Haustür, keine Außenwand in Rosa.
Fensterläden und Eingangstüren haben alle denselben Grünton, etwas bläulich, dunkel, aber freundlich. Zusammen mit den sorgsam geweißten Vorsprüngen und weiteren Details ergibt sich ein sowohl zurückhaltender als auch charakteristischer Farbklang, sozusagen mit Blick aufs nahe Bergische Land, dessen Architektur eine ganz ähnliche Farbigkeit hat (dies allerdings zusammen mit Schiefer; hier, auf der Margarethenhöhe, ist er nur selten zu finden). Interessanterweise hat man den Putz der Hauswände lange nicht übertüncht – eine Symbolik, die besticht: Die rußgedunkelten Wände als Relikt des alten, typischen Ruhrgebiets, während alles andere in renoviertem Zustand glänzt.
Eine Siedlung, in der ja gelebt und gewohnt wird, und die – wie das Leben überhaupt – Vergangenheit und Gegenwart in sich verbindet. So haben letztlich die spontanen Nostalgie-Gefühle auch nicht wirklich Gewicht, sondern werfen die Frage auf, welche architektonischen Möglichkeiten könnten sich in der Zukunft bieten, nach allen Erkenntnissen, die man nun in gut hundert Jahren gesammelt hat? Es hat sich ja wohl herausgestellt, dass zuviel Gleichförmigkeit nicht gut für die Seele ist. Abgesehen davon, dass es hier verschiedene Häusertypen gibt, vermutlich auch den verschiedenen Erbauungsjahren geschuldet – ein bisschen Jugendstil, verhalten expressionistische Anklänge, 30er-Jahre Heimatstil –, scheinen beispielsweise die Haustüren auf den ersten Blick alle verschieden zu sein. Das stimmt aber gar nicht, es gibt nur ein paar wenige Modelle, die aber nie „in Reihe“ eingesetzt sind, sondern höchstens zweifach, rechts und links, wegen der Symmetrie. Im Nachbarhaus findet sich dann wieder eine andere Tür. Mich begeistert das, denn man erreicht mit einfachen Mitteln einen Eindruck von Vielfalt.
Vielleicht sollten wir den Werkbund nicht ganz außer Acht lassen, auch wenn wir
heute natürlich ganz anders bauen (sollen, müssen). Überhaupt tun liebevolle
Details dem Menschen gut – ich schweife kurz ab: ganz in der Nähe der
Margarethenhöhe befindet ein Hundertwasserhaus, das letzte Haus des Künstlers –
das ja genau dem menschlichen Bedürfnis nach Individualität nachkommen will. Ob
man eine solche schräg-bunte Version nun gutheißt oder nicht: die Eintönigkeit
der weißgrauen Sachlichkeit, die jetzt überall entsteht, halte ich für
fragwürdig.
Schottergärten, die die neuen Siedlungen der Gegenwart atmosphärisch prägen, gibt es auf der Margarethenhöhe glücklicherweise nicht (könnte man sie auch sonst weiterhin „Gartenstadt“ nennen?). Individuelle kleine Gärten und der nahe – bewusst stehen gelassene – Wald bieten das Grün, das man damals wohl gerade als gesundheitsförderlich erkannte.
Auf der Suche nach Details finde ich Voluten und Ornamente, die immer nur sehr dezent gesetzt sind.
Es geht hingegen nicht ganz ohne das Pathos der Zwanziger Jahre: Sowohl der
Aufgang von der „Halbe Höhe“ als auch Teile des Marktplatzes wirken schon etwas
gewaltig. Das Haus des „Konsums“, heute Edeka, reiht sich in dieses etwas bombastische Konzept
ein. Wie stark der Denkmalschutz hier den Ton angibt, sieht man deutlich: EDEKA
verzichtet auf den üblichen Schriftzug in Blau auf gelbem Grund; die Schrift ist
in diesem Fall aus Messing.
Die Arkadenhäuser am Marktplatz muten wieder ganz anders an: Hier möchte ich am liebsten sofort einziehen.
Mit einer Kartoffeltasche und einem Schokobrötchen aus der Bäckerei – war
es wohl immer schon eine? – verlasse ich die Margarethenhöhe. Vielleicht komme
ich später noch einmal wieder, denn es muss traumhaft sein, wenn die Rhododendren
und die Kletterpflanzen blühen.
Und es war doch keine Zeitreise, sondern ein Stück zufriedene Gegenwart.
Marlies Blauth | 1. März 2021
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