Ein Warenhaus voller Erinnerungen – Karstadt in Dortmund
Heute besuche ich noch einmal unser gutes altes „Kaufhaus“, habe mir vorgenommen, in der noch immer beeindruckenden Lebensmittelabteilung nach Leckereien für ein kleines Geschenkpaket zu schauen. Ich finde es praktisch, mitten in der Stadt solch eine schöne Auswahl zu haben – in einigen Innenstädten sind Lebensmittel ja kaum noch zu erwerben. Das ist schade. Immer wieder den immer ähnlichen Wocheneinkauf hektisch hinter die Heckklappe des Autos zu stopfen, nagt doch an der „Einkaufskultur“, oder nicht? Hier, bei Karstadt, finde ich tatsächlich nach wie vor Sorten und Fabrikate, die ich noch nie gesehen habe. Und meine Lieblingsmarmeladen sind wieder da! Davon muss ich mir, parallel zum Fresspaket-Geschenk, selbst eine gönnen. Granatapfel – kenne ich noch nicht, scheint neu zu sein, wie ich im Internet schon zuvor gesehen hatte.
Bei Karstadt ist drinnen viel los – was mich erstaunt. Es soll doch geschlossen
werden, nach einer Galgenfrist von einigen Monaten. Noch gibt es aber keine
Sonderangebote, jedenfalls keine, die an „Leichenfledderei“ denken lassen. Alles
ist, wie immer, perfekt dekoriert. Man kann zwar nicht direkt sagen, dass „der Bär
steppt“ … aber es ist ja erst Vormittag, und ein fast-aufgegebenes Warenhaus stelle
ich mir völlig anders vor. Oder, ja: Ich kenne eins, das ist tatsächlich meist
gähnend leer, das Verkaufspersonal hat kaum etwas zu tun. Hier, in Dortmund,
ist es aber nicht so, es herrscht ein buntes Treiben wie auf dem Markt. Mag
sein, dass es nochmal einen Aufschwung erhielt, seit Karstadt-Galeria-Dings aktuell
in den Schlagzeilen auftauchte. Aber umso schöner, wenn sich die Dortmunder
solidarisch fühlen.
Es wäre ein riesengroßer Fehler, dieses noch immer schlagende Herz aus dem – insgesamt leider nicht ganz fitten – Innenstadt-Kosmos herauszureißen.
Vieles ist noch vertraut, die Warenhaus-Welt glitzernd und
vielfältig wie gewohnt; ich denke „an früher“:
Wir wohnten ja ziemlich weit draußen, „auf’m Dorf“ in Berghofen,
wo es in meiner Kindheit nur wenige Läden gab – winzig und mit Tante Emma
hinter der Theke. So war eine Fahrt in die Stadt immer etwas Besonderes. Meine
Mutter war plötzlich schick, mit Lippenstift und Klack-klack-Schuhen, und meine
Hose – Jeans kamen erst später – musste die ohne Loch am Knie sein. Und los
ging’s. Kam mein Vater nicht mit, nahmen wir den Bus nach Hörde und von dort
aus die Straßenbahn, die sich eine gefühlte Ewigkeit die Märkische Straße
entlangquälte, denn die U-Bahn gab es noch nicht. Später bog die – nougatbraune
– Bahn an der großen Kreuzung am Stadthaus ab, fuhr über den Wall und dann in
die Hansastraße.
Endlich war das Ziel erreicht, die Haltestelle befand sich
direkt neben „Althoff“ – dann wohl schon Karstadt, aber meine Mutter blieb beim
Althoff.
In diesem altehrwürdigen Warenhaus – mit den Figuren aus
Sandstein an der Fassade – gab es nahezu alles, was meine Mutter einkaufen
wollte. Was Althoff nicht hatte, war schwierig zu bekommen. Die anderen
Warenhäuser, ich meine, es gab zeitweise 4 (oder sogar noch mehr?) Konkurrenten,
waren für meine Mutter nicht der Rede wert. Hier zuviel Billigware, dort zu
wenig Auswahl.
Und in der Tat, für ein Kind aus dem knapp zehn Kilometer
entfernten Vorort war das Sortiment überwältigend. Da lagen Sehnsüchte greifbar
in Hülle und Fülle herum, Spielwaren, lebende (!) Tiere, schöne Dinge, Leckeres
in der riesigen Lebensmittelabteilung … all das hatte Tante Emma zu Hause nicht
mal andeutungsweise im Angebot.
Interessant war immer auch das Fahren mit dem Aufzug. Damals gab
es noch Fahrstuhlführer, man musste sich also nicht durch irgendwelche
Übersichtspläne wurschteln, sondern brauchte ihm nur zu sagen, wohin man wollte
beziehungsweise was man zu kaufen vorhatte. Daraus entwickelte sich oft eine
sekundenkurze Plauderei meiner Mutter mit dem Fahrstuhlmann, den sie meist
schon kannte. Ich fragte sie kurze Zeit später, warum dem einen ein Arm fehlte
oder eine Hand; ich lernte, was Kriegsverletzungen sind. (Solche Erfahrungen
mahnten mich jedesmal: Nie wieder Krieg!!)
Für mich, das Dorfkind, das immer draußen herumstrolchte, war
„Althoff“ immer sehr vornehm. Alle Angestellten waren freundlich und höflich
und sprachen mich, das Kind, auch oft direkt an. Man sah mich als zukünftige Kundin;
nicht, dass man mir in der Damenkonfektion oder der Gardinenabteilung was hätte
andrehen wollen und können. Nein, man sorgte für eine angenehme Atmosphäre. Da
wurde beraten und bedient. Ein unwirsches „Haben wir nicht“, wie es einige
Jahrzehnte später breitflächig auftauchte, wäre ein Ding der Unmöglichkeit
gewesen. Ob „noch am Lager“ oder nachbestellbar oder durch ein ganz ähnliches
Modell ersetzbar – die Verkaufsgespräche waren ausführlich und aus kindlicher
Sicht oft viel zu lang. Aber so war es eben; man hatte Zeit, nahm sich Zeit, von
A nach B zu wetzen, war nicht üblich. Und das große Warenhaus hatte ja den
Vorteil, dass man oft kaum noch woandershin musste. Meiner Mutter war es am
liebsten, wenn sich ein Stadtbesuch nahezu auf ihr Althoff beschränkte.
Vielleicht lag das an ihren stadtfeinen Schuhen, mit denen sie vermutlich nicht
den ganzen Westenhellweg entlangstelzen konnte und wollte.
Zum Schluss ging es immer in die Lebensmittelabteilung. Ein
Traum. Immer duftete es nach gegrillten Hähnchen. Bei uns zu Hause gab es, wie
wohl in den meisten Familien, meist einfaches Essen. Daher kaufte meine Mutter
hier auch nicht viel. Selbst wenn mein Vater mitkam und also auch das Auto,
wurde nicht einkaufswagenvoll gestapelt: Die etwas teureren Dinge von Karstadt
blieben immer etwas Außergewöhnliches.
Bald kamen Zeiten, in der konkurrierende Konzepte wie Pilze aus dem Boden schossen: Einkaufszentren „auf der grünen Wiese“, Innenstadt-Galerien (diese Riesendinger mit ihren Ladenzeilen unterm Dach) und schließlich der Onlinehandel. Hatte man früher noch ans unendliche Wachstum und entsprechend unstillbare – aber eben käufliche – Begehrlichkeiten geglaubt, so zeigt sich nun: Der Markt ist, zum Teil jedenfalls, gesättigt. Man hat erkannt, dass man nicht alles neu haben muss, vieles wird vererbt oder anders weitergereicht oder eben auch mal repariert.
Das Prinzip Warenhaus habe sich überlebt, heißt es. Ich bin mir da nicht so sicher. Dass die Innenstädte veröden und verblöden und sich (darin) gleichen wie ein Ei dem anderen, will so recht niemand. Der Trend, mit dem Auto überall ranfahren zu müssen, nimmt ab.
Ich fürchte, die halbe Welt ist zum übervollen Warenhaus geworden – nur vielfach ganz ohne die Atmosphäre und den Service unseres guten, alten Karstadt an der Hansastraße.
Es gibt aber aktuelle Rettungsversuche; möge wenigstens ein Teil des Bewährten und Wichtigen erhalten bleiben. Ich drücke die Daumen, Dortmund!
Dieser Text entstand unter Verwendung meines Kommentars auf dem Blog revierpassagen.
Marlies Blauth
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