Halde. Aus der Serie "Bilder aus Kohlenstaub", 25 cm x 30 cm
Grüße aus der Provinz: Absage ohne Ansage
Während ich diese Glosse schreibe, sollte ich
eigentlich lesen.
Nein, nicht diesen Text hier (den lese ich
selbstverständlich vor Veröffentlichung noch einmal), sondern ich sollte öffentlich
lesen – wie übrigens erfreulich oft in diesem Jahr 2023, und in den meisten
Fällen sogar mit gutem Honorar.
Darüber, wie „man“ zuweilen mit Kultur – oder besser: mit denen, die sie schaffen und pflegen – umgeht, habe ich mich schon öfter mal ausgelassen. Wie Glossen eben so sind: Darin kann man das not-amused etwas amüsanter verpacken, anstatt nur rumzunörgeln.
Gestern bekomme ich also eine Mail. „Leider haben sich
nur zwei Personen angemeldet. Das finden wir sehr schade. Damit Sie nicht extra
den weiten Weg kommen müssen, haben wir Ihre Lesung abgesagt.“
Das wirkt auf den ersten Blick fast fürsorglich, wahrscheinlich war der Absender sogar selber überzeugt davon. Beim näheren Hinschauen denkt man allerdings eher an den staunenden Laien und den sich wundernden Fachmann – denn schließlich bleibt ja noch ein kompletter Tag Zeit zum Anmelden, und die „Spontan-Besucher“ sollte man auch nicht ganz vergessen. Dass Lyriklesungen nicht die Bären zum Steppen bringen, sondern eher im kleinen Kreis stattfinden, ist währenddessen auch bekannt.
Nun kann der absagende Arm des Veranstalter-Teams nicht wissen, dass ich einen ähnlichen Fall schon mal hatte. Immerhin wurde ich da (schlechtgelaunt zwar, aber doch) vorher angerufen. Und ich bestand damals darauf, die Veranstaltung auch mit einer kleinen Gästegruppe stattfinden zu lassen. Diese füllte den Raum zwar wirklich nicht aus, saß aber gemütlich und ohne Lücken um einen riesigen Tisch platziert – und, was soll ich sagen? Es wurde eine meiner schönsten Lesungen überhaupt. Gut, dass es in diesem Fall eine Rücksprache gegeben hatte. Die ich im übrigen als übliches Procedere einordnen würde.
Gestern aber, ich betone es gern und ungern gleichzeitig, blieb mir genau diese vorenthalten. Ich hatte weder die Chance, meine Erfahrungen zu berichten, noch beharrlich zu sagen, dass ich auch diesmal gern trotzdem da sein würde, zumal ich – ehrlich – auch gern in gemütlicher Runde lese.
Vor allem, wenn, wie vereinbart, das Honorar ohnehin „aus dem Hut“ kommt, der am Ende durch das Publikum wandert. Bei Lyriklesungen, siehe oben, klingelt dieser Hut meistens nur ein ganz kleines bisschen, so dass das Honorar gar keins ist, sondern nichts weiter als ein Taschengeld.
Ja, auf so was lasse ich mich zwischendurch gern
mal ein, an neuen Orten mit unbekannten Gästen zu sein, reicht mir mitunter aus.
Ach, genau: An den Lese-Orten der besagten Veranstaltungsreihe
muss, soweit ich weiß, im allgemeinen keine Miete oder ein anderer Tribut entrichtet
werden. Wer einen Raum für eine Lesung öffnet, macht das in diesem Fall genauso
idealistisch wie die Lesenden (weil’s Spaß macht – weil man vielleicht
interessante Leute da hat / näher kennenlernt – weil man gastfreundlich ist …).
Das Risiko für das Veranstalter-Team war also … gleich null. Heul.
Da hätten wir reden müssen – und eigentlich
können.
Nichtreden ist für mich immer so ein No-Go.
Aber das steht auf einem anderen Blatt.
Last not least dieses „Damit Sie nicht extra den weiten Weg kommen müssen“ – herrje. Irgendwie scheint es mit rostigen Ankern in der Gesellschaft festgehakt zu sein, dass wir alle Genies sind (klingt ja auch erstmal gut). Dass wir ohne jede Vorbereitung – la-la-la – in einem unbekannten Raum genau fünfzig (oder wieviel) Minuten lesen, dass wir alles im Kopf oder im Ärmel oder sonstwo haben.
Nun geht’s in die Realität: Natürlich hatte ich meinen Lese-Ort schon drei Wochen vorher angesehen, damit weder der Raum noch andere Gegebenheiten unbekannt bleiben;
mach‘ ich sehr oft, fast immer so, wie auch bei Ausstellungen. Und dabei wird
alles Mögliche besprochen, die Lesezeit, gibt’s was zu trinken, Büchertisch ja
oder nein, kann ich ein paar künstlerische Miniaturen mitbringen … was auch
immer.
Und dann stelle ich meine Lesung zusammen. Immer anders, weil die Bedingungen
immer anders sind, und keinem Gast, der schon eine Lesung von mir gehört hat,
soll zugemutet werden, dass er sich genau dasselbe wie vor fünf oder zwanzig Monaten
anhören muss – Lyrik kann man schließlich gut immer wieder neu kombinieren.
Aber eine Lesung hat immer auch ihre Dramaturgie. Da wird nicht einfach gewürfelt.
Heißt: Kunst, nicht nur die bildende, ist schön,
macht aber viel Arbeit. Und diesmal war genau die völlig umsonst. Umsonst und noch
dazu ohne jeden Hut.
Text und Bild © Marlies Blauth
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