Vegan
– huh
Nein
– oder ja, je nachdem –, ich lasse mich weder zwingen, meinen Kaffee schwarz zu
trinken, noch macht mir jemand mein geliebtes Daunenkissen abspenstig. Im
Winter gieren meine kalten Füße nach Wollsocken, mein bisweilen heiserer
Schlund nach Tee mit Honig, außerdem will ich nicht ständig Plastik- oder Stoffschuhe
tragen.
Derzeit
zeigen unsere Medien so dankbar wie permanent die veganen Gefahren auf – kein Wunder,
es besteht ja landesweite Aufjaul- und Aufreggarantie: Mangelernährung! Und die
Kinder! Und die Verbohrtheit! „Die“ wollen uns buchstäblich die Butter vom Brot
klauen! Lasst euch bloß kein schlechtes Gewissen aufhalsen! Ein Wurstbrot wird
ja noch erlaubt sein …
Und
dazu kann ich nur sagen: Ich finde vegan – gut.
Denn für jeden Veganer wird nicht geschlachtet und gequält; basta.
Und
überhaupt begrüße ich, dass es Menschen gibt, die neue Wege suchen.
Nun
ist nicht jeder Weg uneingeschränkt gangbar, das wissen wir. Bestimmt werden einige
Veganer auch „umkehren“, denn nicht jedes Experiment auf der Welt gelingt.
Aber: Auch andere Wege erweisen sich als Sackgasse – täglich fürstlich-fleischig
essen zu können, den Indikator des Wohlstands immer wieder vom Teller abzulesen, war vielleicht ein probater Wunsch. Aber da wir es uns eben doch
nicht leisten können, massenhaft wie der frühere Adelsstand zu tafeln, müssen
wir immer öfter zumindest mit geschönten, in Wirklichkeit absolut leeren Versprechungen
auskommen. Der allbekannte Serviervorschlag
auf den Verpackungen, eine Ideal-Abbildung des Produkts, sagt nichts über
verarbeitete Schlachtreste, verfütterten Ekelkram oder stabilisierende
Chemikalien aus. Klar, die Nettigkeiten setzen sich schöner fest als die Widerwärtigkeiten. Dass wir da schon mittendrin sind in der Sackgasse, indem wir uns beispielsweise stallgenerierte Keime aufpfropfen lassen, gegen die nichts mehr hilft, ist nichts Neues mehr.
Und
letzten Endes geht es beim Täglich-grüßt-das-Murmeltier-Thema vegan doch –
hoffentlich! – um nichts anderes als Fanatismus und die Angst davor. Die diesbezüglichen
Schrecknisse in der Welt lasse ich jetzt mal weg, über die mag ich mich nicht
äußern; über die „Alltagsfanatiker“ aber schon. Es ist leicht, dieses Problem
auf diejenigen abzuwälzen, die sich irgendwie „anders“ ernähren: Man ist sich
weitgehend einig und riskiert nichts, in Bielefeld fällt ein Sack Reis um, in
Hamburg ein Sack Soja, wir können mal schön auf die Veganer (oder Vegetarier
oder „Pseudo“-Allergiker oder … oder …) einkloppen und dann zur Tagesordnung
übergehen.
Ich
möchte behaupten: Unsere Attacken treffen Stellvertreter – unsere
Ängste sind in Wirklichkeit doch ganz andere, denn jeder vernünftige Mensch
weiß, dass kein Veganer je befähigt sein wird, Dir das Kotelett und mir
den Milchshake zu verbieten. Und genauso bezweifle ich, ob die latenten
Gewissensnöte, in die uns die vegan Lebenden angeblich hineintreiben, tatsächlich
bei allen zu finden sind, die sich über die „veganen Fanatiker“
aufkreppen. Ist es nicht eher so, dass da ein vegan gewebtes Schreckgespenst
über dem biederen Alltag wabert, ohne dass man überhaupt einen Veganer persönlich
kennt?
Klar,
es gibt sie, die Missionierten und Missionierenden. Manche haben ihre
Ernährung, ihre Lebensweise „umgestellt“ und erzählen das jedem, der es nicht
hören will. Aber mal ehrlich: Haben Sie alle Freunde von früher noch? Der eine kennt
nur noch seinen Sport, den anderen hat der Alkohol zur Unkenntlichkeit
verändert, der dritte ist plötzlich „bekennender Christ“ (oder so ähnlich). Es
gibt viele Möglichkeiten, warum, im Gegensatz zu früheren Zeiten, keine
Interessensschnittmengen mehr existieren. Das Vegan-Werden kann eine von diesen sein.
Geschmackssache, würde ich sagen, was noch erträglich ist und was Freundschaften
endgültig zerstört: Übereifer, der nicht wenigstens ansatzweise geteilt wird,
nervt immer.
Ich
bin mal mit wehenden Fahnen geflüchtet, als mich ein Mitglied einer Freikirche
tadelte – eigentlich ein netter Mensch –, ich dürfe ihm nicht die Daumen für
eine Klausur drücken, es nicht einmal sagen: Aaaberglaube! Böseböseböse!
Ist
es nicht das, was uns alle stört? Das Rigide, das Gekrittele, das Besserwissen,
das 150%ige? Du darfst nicht, du sollst, du müsstest … das IST doch …? Und dann
spielt es kaum noch eine Rolle, ob der Fleischesser missioniert oder der
Nichtfleischesser, der Religiöse oder der Antireligiöse, der Wissenschaftsgläubige
oder der Esoteriker.
Und
wenn mir bei meinen Ausritten durchs Netz der Theologe begegnet, der gegen
Veganer und Esoteriker zu Felde zieht, dann kann ich nur eins: lachen. Mit
einem weinenden Auge, natürlich. Wir werden sie nie los, die Fanatiker. Ich
halte es allein für biografisch bedingten Zufall, was sie jeweils hyperaktiv
befehden.
Ich kenne einen Veganer, dessen Einstellung mir erst bekannt wurde, als es ein westfälisches Schlachtplattenbüffet (und sonst nichts) für alle gab.
Wer wollte da jetzt wen „missionieren“?
Ich kenne einen Veganer, dessen Einstellung mir erst bekannt wurde, als es ein westfälisches Schlachtplattenbüffet (und sonst nichts) für alle gab.
Wer wollte da jetzt wen „missionieren“?
Marlies Blauth
1 Kommentar:
Sehr gut geschriebener Text - manchmal zum Schmunzeln.
... und doch ein "tiefes" Thema.
Wahrscheinlich wächst man im Laufe der Jahre an seiner Einstellung.
"Beide Seiten" sind wunderbar beleuchtet. Toll finde ich`s, wenn man nicht in "militantem" Missionarismus verfällt - denn DER überzeugt keinen.
Herzliche Grüße,
Michael
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