Der Glaube ist es schon lange nicht
mehr, der Berge versetzen kann – spätestens seit ich gelernt habe, dass so
vieles „nur Placebo“ ist (also nichts außer Einbildung), Hoffnung in Wirklichkeit Illusion
bedeutet, ich überhaupt nur noch glauben darf, was ich sehe (oder zu sehen
meine oder was andere für mich schon vor-gesehen haben), brauchen sich auch die
kleinsten Maulwurfshügelchen nicht mehr vor mir zu fürchten.
Währenddessen türmen sich wahre Faltengebirge vor mir auf, da
wirken geologische Kräfte, die schieben und zerren, strömen und stocken: Ich
meine die geheimnisvollen Kräfte der Sprache. Wenn es ganz schlimm kommt, heißt
das Shitstorm, zumindest im Netz; was
da so impulsiv wie unprofessionell, so heftig wie ungerecht über Menschen
ausgegossen wird, ist allerdings nicht nur die schockierende Momentaufnahme, von
der man besonnen Abstand halten könnte – nein, längst sind weite Bereiche von
solchen sprachlichen Wallungen ergriffen. Früher lasen wir die Bild-Zeitung nicht, weil sie alles so
plakativ verbrät und verkürzt; heute spießen uns von überall solche
holzschnittartigen Formulierungen ins Auge, die distanzlos behaupten,
verängstigen, vergrößern, verkleinern und eben ständig bewerten – und das zur
Normalität gekürt haben. Von solcher Vorverdauung bis zum Shitstorm ist es
schon rein physiologisch gar nicht weit, fällt mir gerade auf. Und das
eigentlich Schlimme ist, dass das Zusteigen auf diesen fahrenden Zug so
unheimlich einfach geht und wohl auch gewollt ist: Wenn mir eine Zeitung wie
die Rheinische Post eine „Anti-Putin-Truppe“ in ihrer Headline anbietet, soll
ich das als eine elegante Lösung akzeptieren, womöglich sogar als deutsche
Heldentat begrüßen.
Zumal ja der wirkliche Weltuntergang von woanders her kommt,
nämlich aus dem Reich der Unterhaltung: Wenn der Sieger der ESC-Vorauswahl für
Deutschland in letzter Sekunde zurücktritt und sämtliche medialen Zeigefinger
auf ihn gerichtet sind, dann „darf“ ich ihn natürlich auch mobben. Das Gebrüll
ist irgendwie wieder salonfähig geworden oder zumindest dabei, es zu werden.
Das Wort Krieg wird erschreckend gern
benutzt – hatten wir nicht mal eine Friedensbewegung? – und zwar auch als
militärischer Begriff für zum Teil ganz unmilitärische Sachverhalte: Die ZEIT
textet, wenn Eltern nicht impfen, zögen sie in den „Impf-Krieg“. Meine Frage:
Wie zieht man passiv in den Krieg? Das
wäre für mich eher die Quadratur des Kreises … die merkwürdigerweise so wenig
auffällt, aus dem Rahmen fällt. Es wird geschluckt und geschleckt, was uns da an
Sprach-Schnellfress aufgetischt wird.
Und ich ertappe mich: Auch ich glaube da manches, was ein
halbwegs intelligenter Mensch mir vor-geschrieben hat. Es bleibt mir ja auch
nicht viel anderes übrig, denn ich kann nicht gleichzeitig an zwei Orten in der
Welt sein, geschweige denn an allen. Aber es gibt Unterschiede: Wo wird Sprache
benutzt, um einigermaßen sachlich zu berichten, wo befeuert sie Emotionen, wo
versetzt sie Berge – im Sinne eines zerstörerischen Erdbebens? Welche Vokabeln
sind es, die der Achtsamkeit und Besonnenheit entgegen wirken? Warum habe ich
das Gefühl, dass die Sprache in eine ungute Richtung gleichsam galoppiert – nie
hatte ich den Eindruck einer so schnellen Sprachveränderung wie heute?
Und da kann ich – als Künstlerin und Autorin – einfach nur zum genaueren
Hinschauen appellieren. Man muss nicht alles
kritisch durch den Wolf drehen, aber unkritisches Vereinnahmenlassen geht auch
nicht, das würde der Demagogie, die ich schon manches Mal „trapsen“ höre, Tür
und Tor öffnen. Und glauben ist
überhaupt so ein Begriff. Wenn ich glauben darf, um Berge, die mein Seelengebirge sind, zu versetzen, ist
das okay. Wenn ich aber alles glauben soll, was mit seinen sprachlichen Mitteln
ein Beben hervorrufen will, bin ich ganz schlecht beraten.
Marlies Blauth
2 Kommentare:
Daumen hoch für diesen Beitrag.
Vielen Dank, Iris.
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