Ein Sonntag in der Pauluskirche, Dortmunder Nordstadt
Corona strichelt noch immer Termine aus, wie erst vorgestern wieder, als eine Ausstellung abgesagt wurde, in die ich eigentlich einjuriert war. Für die ich bereits Bilderrahmen und Passepartouts gekauft hatte.
Umso mehr weiß ich es zu schätzen, wenn Veranstaltungen wirklich stattfinden (dürfen, können), vor allem, wenn es zusätzliche sind, gar nicht von langer Hand geplant, und zu denen man freundlicherweise eingeladen wird.
So bin ich an und in die Pauluskirche gekommen. Man sieht sie jedesmal,
wenn der Zug den Dortmunder Bahnhof erreicht – oder verlässt, je nachdem. Außen
neugotisch, innen nach Kriegsbeschädigungen sehr schlicht. Gemäß verschiedener
architektonischer Kirchbau-Programme steht vorne über dem Altar eine riesige Orgel (von 1994). Ich bin
da immer zwiegespalten, einerseits wird der Raum eigenartig verändert und
stellt die Musik (zu?) sehr in den Fokus, andererseits mag es hier genau stimmen,
denn diese Kirche hat solch ein regenbogenbuntes Kulturprogramm, dass die Orgel ins Blickfeld
passt. Betont spirituelle Räume sind woanders vorhanden, hier ist man lebenspraktisch und probiert ungewöhnliche Konzepte aus.
Und so ganz verschiedene Profile von Kirchen und Kirchengemeinden sind, meine
ich, genau das, was die Zukunft braucht.
Ich packe also meinen Koffer mit Kunst. Nur kleine Formate, denn es wird
keine Ausstellung, sondern eher ein kleiner Markt. Eine Präsentation jedenfalls;
alles in dieser Richtung ist im Moment wichtig für uns Künstlerinnen und
Künstler.
Der Koffer ist so schwer, dass ich ihn kaum tragen kann, aber eine Fahrt
mit dem Auto wäre ökologisch kaum vertretbar. Treppen mit dem Ding zu
bewältigen, ist schon grenzwertig. Aber nun rolle ich meine Last fast gemütlich
in Richtung Kirche, wie gesagt, sie steht so bahnhofsnah, dass der Fußweg ein
Klacks ist.
Wer keinen eigenen Tisch mitbringen konnte (oder eine Staffelei oder eine Stellwand),
bekommt zwei Tischplatten über zwei Kirchenbänke gelegt – zack, hält. Der
Pfarrer hilft mit tragen, einer trage des anderen Last, ja. Das ist
sympathisch. Der seltsamste „Messestand“, den ich bisher bespielt habe, und ein
ganz wunderbarer. Vor allem aber ist die Atmosphäre so, dass ich Corona eine Zeitlang
fast vergesse; ganz wichtig für mich, ich sauge das auf wie ein ausgetrockneter
Schwamm. Die Statuten werden kurz erklärt, im selben Atemzug erfahren wir aber
auch, was wir dürfen. Das ist viel wert. Wenn keine drückende Stimmung
aufgebaut wird, kann es sogar auch zwischendurch spaßig sein zu rätseln, wer
hinter seiner Maske steckt: Ich bin bei diesem fröhlichen Ratespiel nicht gut,
stelle ich fest, ich gehe vor allem über Stimme und Sprache. Ist mir neu; das hätte ich, so als Augen-Mensch, nie vermutet.
Besonders zu erwähnen aber ist der „Corona-Einbahn-Parcours“ durch die
Räumlichkeiten, beispielsweise mit dem Ziel: WC. Dessen Zugang liegt in direkter Sichtweite
von meiner Kirchenbank aus, wie alle anderen muss ich aber längs durchs
Kirchenschiff wandeln, um dann auf schnörkeligen Wegen an den Toiletten vorbei
zu laufen, ein Treppchen hoch, ein Treppchen runter, raus durch einen (vermutlich:
Not-)Ausgang, um dann über die Draußenpfeile zum nächsten (Neben-)Eingang geleitet
zu werden. Dort wieder rein. Irgendwie, man möge es mir verzeihen, fühle ich mich
für einen Moment wie auf einem Kindergeburtstag. Das liegt auch daran, dass die
Kirche ja nicht klein ist und man durch die vorgeschriebenen Um- und Abwege in
Gefilde kommt, die sonst verschlossen sind. Vor allem ist es das
kurvenreiche Taptaptap – Tiptiptip, so, als würde am Ende die Zeit gestoppt und
für die Gewinner eine Süßigkeit winken.
Ja, es gibt Zauberworte, die eine Stimmung auflockern können, ohne dass sie sich vor Verantwortung drücken. Machtworte wären da der Gegensatz; die mag ich nicht und brauche ich nicht, schon gar nicht als Schwall aus der Gießkanne, der Menschen trifft, die umsichtig sind und willens.
Meine Kohlestaub-Bilder habe ich nicht mit, nur ein paar Miniaturzeichnungen.
Die Situation hier erfordert Farbe: Pink zu Blaugraugrün, Mohnrot zu hellgelb.
Der Pfarrer betont auch mehrfach, wie sehr er sich über seine gerade so bunte
Kirche freut.
Ich sage wieder einmal ein herzliches Dankeschön an „die“ bzw. eine
Evangelische Kirche. Auch wenn es auf der allgemeinen Ebene einiges gibt, was
man diskutieren könnte und auch müsste, so sind manche Erfahrungen wie diese ausgesprochen
positiv.
Hier werden wir durch gute Organisation „verwöhnt“, übernommene Kosten, bereit
gestellten Kaffee und Tee, und last not least durch ein qualitativ gutes,
begleitendes Musikprogramm.
Danke für die Gastfreundlichkeit und die Offenheit für „Zeitgemäßes“, in diesem Fall eine besondere Art der Corona-Hilfe. Danke an alle, die sich für diesen Sonntag Zeit genommen haben.
Mein Koffer ist kaum leichter geworden, müde hieve ich ihn die Dortmunder
Bahnhofstreppen hoch. Aber ich weiß es zu schätzen, ein paar „Minis“ und zwei Gedichtbüchlein
verkauft zu haben. Und meine Visitenkarten führen ja auch manchmal zu einer
Visite im Atelier, wer weiß.
Marlies Blauth | 27. September 2020
Text und
Fotos © Marlies Blauth
1 Kommentar:
Es war uns als Lydia-Kirchengemeinde, zu der die Pauluskirche in Dortmund gehört, eine Ehre und Freude, diese Kunstausstellung mit dem Verein "Kultur und Leben" durchzuführen und Sie als Künstlerin mit Ihren wunderbaren Werken dabei gehabt zu haben. Unser in der Tat regenbogenbuntes Kulturprogramm hat zu einer Öffnung der Gemeindearbeit gesorgt, die uns bereichert und vieles Neues erzeugt. Kultur- und Kunstangebote in diesem schönen Raum zu ermöglichen, betrachten wir mittlerweile als eine wichtige Aufgabe. Zumal schon die alten Kirchenbauer von 1894 offensichtlich eine ebensolche Aufgabe im Blick hatten. Denn die ganz alte Orgel stand schon damals (bevor der Krieg sie mit dem einstürzenden Kirchendach zerstörte) im Fokus (damals auf einer Empore, die sich über dem Altar befand)-und damit zumindest die Kunst der Kirchenmusik. Dass eines Tages einmal solch bunte Kunstausstellungen mit über den Kirchenbänken gelegten Tischplatten stattfinden, das hätte man damals sicher nicht gedacht. Und dennoch bleibt Kultur und Kunst in dieser und anderer Weise bis heute im Fokus unserer Kirche.
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