Industriebrache – Sauerland – Stadt
je 15 cm x 25 cm, Kohlestaub (oben: mit Ölfarbe) auf Malpappe, Okt. 2020
In eine andere, falsche Zeit gefallen
Wohin geht es mit uns?
Ich möchte um Hilfe rufen, ich möchte endlich aufwachen aus
diesem unguten Traum.
Über uns pendelt das Damoklesschwert „Lockdown light“ – was beinahe freundlich klingt, es aber nicht ist: Gastronomie und Kultur sollen gleichsam geopfert werden (und „bluten“), damit der Covid-Gott gnädig gestimmt wird.
Was für Perspektiven haben wir? Was ist mit den Menschen?
Hier sind wir ja bereits angekommen:
an der Haustür (mit Maske)
die Fremde
bei der ich ein Päckchen abgebe
streichelt
ganz kurz und ganz sanft
meine Hand
und legt sogleich
ein Briefchen hinein:
mit Desinfektion
Dieser Moment war voller Herzschmerz, denn es handelte sich um eine alte Frau, die so verloren, so einsam wirkte. Aber mit der Mimiklosigkeit der Masken sagt man ja nur das Allernötigste. Feine Nuancen sind unmöglich gemacht. Diese sekundenkurze Berührung war ein Versuch, diese Unmöglichkeit zu überwinden. Um dann sofort alles wegzuwischen: mit einem Desinfektionstüchlein.
Vielleicht sollten wir Lyrik in die Briefkästen legen … Lyrik, die sich nicht so einfach wegwischen lässt. Oder Kunst.
Wie wäre es früher gewesen, hätte ich einer alten Frau ein Päckchen gebracht? „Komm, Härzken, komm rein. Trinkste’n Kaffe mit?“ Wo nur ist diese Zeit geblieben?
Marlies Blauth | 27. Oktober 2020
Text und Bilder © Marlies Blauth
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