Samstag, 24. Oktober 2020

#Kohlestaub Tagebuch | 12

 







Vergänglichkeit, Zerbrechlichkeit


Mein Vorhaben, einmal wöchentlich ins Ruhrgebiet zu fahren und dort Eindrücke und Inspirationen zu sammeln, wird im Moment von den hohen Corona-Infiziertenzahlen gestört. Ich weiß es (ausnahmsweise) zu schätzen, im ländlichen Raum zu wohnen und nicht im Ballungsgebiet. Andererseits fehlt mir der berufliche Flow, die Herausforderung, die Kommunikation.

Die für Ende Oktober ungewöhnlichen 20° draußen sind kein Nachklang des Sommers, sondern eine deutlich spürbare Mahnung an das unkontrollierte Klimageschehen. Was macht uns mehr Angst, das rapide Schmelzen des „ewigen“ Eises oder das Corona-Virus?

 

 

 Stillleben

 

hinter dem Eingang des Supermarkts:

Grabschmuck, fast ausverkauft –

die Gebinde sind müde

an die schütteren Fichtennadeln hat

sich November geheftet

Sterben im Neonlicht

eines Discounters

 

 

Mir kommen die Totentanz-Darstellungen des Mittelalters in den Sinn. Gedanken, die scheinbar – nur – typisch sind für eine längst vergangene Zeit. Aber nun holen sie uns ein, anders, doch irgendwie ähnlich. Uns werden Tag für Tag die Nähe zum Tod und die Unwägbarkeit des Lebens vorgeführt. Multipliziert sich das alles zu einem Super-Novembergefühl? Was kann uns trösten?

Kohle, Kohlestaub hat auch mit Vergänglichkeit zu tun. Das organische Material, das sich über unvorstellbar lange Zeit in Kohle verwandelt hat, war ursprünglich pflanzliches Leben, das sich in sumpfigen Gegenden ausbreitete.

Vielleicht sind es die transformatorischen Prozesse, die uns trösten können, weil sie uns zeigen, dass das Werden über das Vergehen siegen kann?

Wo ist das Spirituelle? Da uns die Religion, wie auch immer, warum auch immer, abhanden gekommen ist (uns abgewöhnt wurde?), fehlt etwas. 

Die Kunst, die Kultur kann einen Teil übernehmen. Das hat sie lange gezeigt, aber was tun, wenn sie nur ganz eingeschränkt, auf Abstand, mit deutlich weniger Sinnlichkeit stattfinden kann? Außerdem ist es nicht die Aufgabe der nicht-religiösen Kultur, das gesamte spirituelle Segment zu übernehmen; das kann sie nicht, das will sie nicht. Wir sind keine Seelsorger. Kunst kann Trost sein, aber das ist eine eher randständige Funktion.

Kunst war immer auch wagemutig. Aber gereicht ihr das momentan zum Erfolg? Wird sie nicht eher totgewarnt und -gemahnt? Was kann und darf sie genau?


Gut, ich halte mich an ihr transformatorisches Procedere: Aus – scheinbar – Nichts etwas machen können, unprätentiöse Ingredienzien so zu mixen, zu komponieren, dass etwas Einzigartiges entsteht. SchöpferIn sein.

Das ist, bei Licht betrachtet, schon sehr viel.

 



 


 

Marlies Blauth | 24. Oktober 2020

 

Text und Bilder  © Marlies Blauth

 




 

 


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