Stay at home – Kohlestaub im Marmeladenglas
Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob ich mehr Angst vor dem Virus habe oder davor, irgendwie schuld an etwas, an einem Spreader-Ereignis, zu sein, wenn ich jetzt meine Besuche im Ruhrgebiet fortsetze. Mir schwirren Angela Merkels Worte im Ohr (sinngemäß) „Und bleiben Sie zu Hause, reisen Sie nicht, wenn es nicht dringend nötig ist.“
Was ist notwendig, was nicht? Eigentlich bin ich ganz gerne zu Hause, auf die Dauer fehlen mir die Anregungen von draußen aber sehr. Außerdem eine echte Kommunikation, nicht nur über unpersönliche Kanäle.
Meine Sprache scheint aufs Notwendige (da haben wir es wieder) zu
schrumpfen, meine Ideen scheinen spärlicher zu werden. Der Kohlestaub wartet im
Marmeladenglas, ich bin schwerfällig und zaghaft zugleich geworden, ein Bild
anzufangen.
Oft sitze ich am Schreibtisch und schaue aus dem Fenster. Alles ist still
und leer. Ich sehne mich nach lächelnden Menschen.
November
hier spricht man nicht
die Morgenwolken
sind Dämmwolle aus Blei
mit einer Zunge Regenrot
im Mund
vor meinem Fenster hasten
Maskenmenschen
in rau gekämmten
Mänteln hin zur Stadt
da wartet Arbeit –
ich trinke Kaffee
rühre in den Stunden
und warte auf die Wiederkehr
Vor allem aber ist es wohl die Ungewissheit, die mich lethargisch macht. Planen ist unmöglich. Gerade ist die Wuppertaler Literatur-Biennale zum zweiten Mal ausgefallen, von ihrem ersten Termin im Mai wurde sie in den November verlegt, um dann letztlich doch zu Streamings (Beitrag der GEDOK, ich ab min 19) zusammengestaucht zu werden. Alle gaben sich große Mühe, aber es ist schon ein Unterschied, in die Technik zu sprechen oder zu einem anwesenden Publikum. Und dabei muss man wohl dankbar sein, dass wenigstens diese Form genehmigt worden ist.
Eigentlich wäre seit letztem Mittwoch meine Ausstellung In der Landschaft installiert, in den Räumen einer Wuppertaler Galerie. Morgen, Sonntag, würde sie eröffnet. Auch wenn sich inzwischen herausgestellt hat, dass Galerien als Einzelhandelsgeschäfte gelten und öffnen dürfen, so bleiben Vernissagen verboten. Verboten! Mit Schrecken denke ich an das kommende Jahr, ich habe Angst, dass man sich an unser Schweigen gewöhnt haben wird.
Ein bisschen anregende Aufmunterung bietet mir in diesen Tagen die Teilnahme an einem Schreibworkshop; immer wieder finde ich, auf ganz verschiedenen und verschlungenen Wegen, in meinen Dortmunder Bekanntenkreis zurück, der seine freundlichen Arme auch über das Stadtgebiet hinaus öffnet.
Meine Heimatstadt lässt mich nicht los, sondern lädt mich, mein Herz immer
wieder ein.
ruhrgebietsstadt
komm zurück
sagt sie oft –
mein gold ist noch immer
in kohlepapier verpackt
versteckt
hab ich mich im keller
rissiger häuser
kehr mit mir aus
dem gesichtsfeld das schwarz
du weißt doch noch
wie das lächeln geht
auf den treppenstufen
sitzen wir barfuß
schauen
reden nicht viel
(veröffentlicht in: zarte takte tröpfelt die zeit, NordPark Verlag Wuppertal 2015)
Als wollte sie sagen: Schraub den Deckel des Kohlestaubglases wieder auf und mach weiter. Und wenn es nur etüdenhafte Skizzen sind.
Marlies Blauth | 14. November 2020
Text und Bilder © Marlies Blauth
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