An der Grenze – Wuppertal, zweiter Teil
In der letzten Blognotiz habe ich bereits erzählt, dass ich durch mein Studium
nach Wuppertal kam und dort einige Jahre lebte – dreizehn Jahre, um genau zu
sein.
Im Frühjahr 1977 zog ich in die Buchenstraße, tief im Tal gelegen. Leider
passte das Zimmer überhaupt nicht zu mir; als gerade mal Neunzehnjähriger war
mir nicht klar, dass (der sauber-sachliche 70er-Jahre-)Komfort, damals bei
weitem noch nicht selbstverständlich, nicht alles ist, dass mich die absolute
Abwesenheit von Natur – und wohl auch von historischen Spuren – depressiv
machen würde: Tagtäglich fiel mein Blick auf Asphalt und Beton, und nur wenige
Tage im Jahr sah ich überhaupt ein paar Sonnenstrahlen.
Der Umzug in eine völlig andere Gegend von Wuppertal wirkte Wunder: „Auf Einern“, wie die Einheimischen sagen, hatte ich das Gefühl, wieder durchatmen zu können, wieder Mensch zu sein. Die neue winzige, schlichte Wohnung befand sich nun nicht mehr halb im Keller, sondern unterm Dach – eines Fachwerkhauses: Ich konnte in die Weite blicken, ins Grüne, bis in die Elfringhauser Schweiz. Und irgendwie war hier das Klima auch anders als weiter südlich im typischen Bergischen Land: milder, lieblicher. Das Heimweh, das mich bisher geplagt hatte, war wie weggewischt. Nie hätte ich gedacht, dermaßen „abhängig“ zu sein von meiner Wohnumgebung.
Direkt gegenüber befand sich damals das Restaurant „Zum Schaumlöffel“, auch die Bushaltestelle davor hieß so. Das urige alte Haus, ebenfalls aus Fachwerk, wurde liebevoll gepflegt, und in einem Bergischen Wohnzimmer bekam man exquisite Angebote aus der regionalen Küche aufgetischt (ich war ganze Dreimal dort, denn die Preise entsprachen nicht meinem Budget). Die Familie, die den Schaumlöffel betrieb, werkelte und fegte und putzte tagsüber, und ab dem späten Nachmittag wurde gekocht – ich mochte sehr diese verlässliche Betriebsamkeit, die nicht selten in herrliche Essensgerüche mündete.
Irgendwann, ich weiß das Jahr nicht mehr, wurde das kleine Restaurant geschlossen, wohl aus Altersgründen.
Manchmal treibt mich die Google-Neugier, so auch jetzt: Was ist wohl aus dem Schaumlöffel, aus dem Haus geworden? Ich werde sicher bald nochmal hinfahren und schauen.
Aber was ich erst einmal hier erfahre, finde ich spannend: Ich habe damals
also an der ehemaligen Kohlenstraße zwischen Witten und Elberfeld
gewohnt. Und nicht nur Haus und Restaurant, sondern die Ortslage hieß und heißt
„Schaumlöffel“. Die Bezeichnung geht tatsächlich auf das Wirtshaus zurück, aber
doch etwas anders als vermutet: Hatte ich mir immer dieses Küchenutensil
vorgestellt, mit dem man beispielsweise leckere Klöße aus der Kochbrühe holt, so stimmt das nur bedingt. Die rauen Gesellen, die die Kohle mit Pferdewagen
transportierten, benutzten den Begriff vielmehr ironisch: Dort, wo der Schnaps anscheinend
„mit dem Schaumlöffel“ aus dem Fass geschöpft wurde, waren die Portionen einfach
deutlich zu klein, der Wirt zu geizig.
Schade, dass ich das meiner Vermieterin nicht mehr erzählen kann, ich
glaube nicht, dass sie diese Details kannte. Sie war damals schon uralt, kam
aus Gelsenkirchen-Erle und konnte mir, die ich schon immer gern Geschichten und
Erfahrungen hörte, viel über ihre Bergmannsfamilie erzählen. Und auch darüber, wie
sie später auf Einern Viehwirtschaft betrieb und die Milch mit dem Pferdefuhrwerk
an die Kundschaft auslieferte – für mich alles schon ferne Welten.
Aus Dortmund kenne ich den „Niederhofer Kohlenweg“, aber nie habe ich mir Gedanken darüber gemacht, dass es auch andere Kohlenwege und -straßen gegeben haben muss; die Kohlen wurden schließlich irgendwie zu den Öfen und zu den Dampfmaschinen in den Fabriken geschafft, und zwar auch zu Zeiten, als es die Eisenbahnen noch nicht gab.
Marlies Blauth | 14. April 2021
Text und Bilder © Marlies Blauth
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