Samstag, 1. März 2025

@ Mama – zum Geburtstag

 







 

an meine Mutter

 

du hättest gesagt

komm, wir trinken ein Bier zusammen!

und: du glaubst an den lieben Gott?

dann vertrau ihm auch!

einen Witz hättest du erzählt

einen dummen

damit ich die Tränen

weglachen kann

 

heute ist alles anders

die Geschichte meines Scheiterns ist lang

und fällt in eine trostlose Landschaft

 

manchmal höre ich dich von ferne

die Liebe hört niemals auf

 

 

 

Seit Deinem letzten Geburtstag hat sich vieles ereignet, unerwartet viel Gutes und Schönes.

„Siehste“, höre ich Dich sagen, „kommt Zeit, kommt Rat!“ Außerdem, manchmal, als Zusatz wie im Gedicht: „Und immer dem lieben Gott vertrauen“.

Sogar ein Unfall im letzten September endete auf wunderbare Weise glimpflich – mit zwei blauen Flecken, mehr nicht. „Siehste. Man muss auch mal Glück haben.“ Aber Du hättest natürlich ganz schön Nerven gelassen, hätte ich Dir den Hergang erzählt. Um dann zu schließen: „Gott sei Dank.“ Ja, da stimme ich Dir zu. Von wo aus sollte sonst ein Schutzengel kommen?

Zur Krisenzeit, vorher: „Haste dich auch bei deinen Freunden bedankt?“ Ja, Mutter, hab‘ ich. Früher war das immer eine gefürchtete, doofe Frage. Aber eher, weil es darum ging, einer Tante, die man einmal im Leben gesehen hatte, für ein unbrauchbares Geburtstagsgeschenk danken zu müssen. Entsprechend blutleer fiel mein diesbezüglicher Brief damals aus – nicht ohne unelegant am Schreibgerät zu kauen.

Freunde, die sich bei lebenswichtigen, lebensbestimmenden Dingen behilflich zeigten, fanden sich erst später (ich glaube, das ist tatsächlich eine Altersfrage, weil zunächst die Eltern für so etwas „zuständig“ sind). Die Freundin, die meinen Abschluss in Französisch rettete, indem sie ihren Klausurtext in meinen Blickwinkel schob, hat heute noch meinen Dank, sie war „Gold wert“ – Krisenzeiten können ja ganz unterschiedlich ausfallen. Jetzt war allerdings eher ein „Kannst immer anrufen, Tag und Nacht“ vonnöten. Das sagte mir eine – andere – Freundin genau dann, als ich es brauchte. Allein das zu wissen, das zu dürfen, hat geholfen – auch wenn ich das Angebot kaum mal in Anspruch genommen habe. Eine Deiner Nichten zeigte sich ebenfalls hilfsbereit. Ich bin mir sicher, das freut Dich besonders. Manchmal reicht es einfach, verstanden zu werden – und von dem ständigen Gefühl des Scheiterns abgelenkt zu sein.

Oft habe ich an Dich gedacht, wenn ich mich winzig klein fühlte, kleiner als ein Kleinkind – wenn ich Sätze hörte, die nicht passten, die mich wie ein Kleid in der falschen Farbe und in der falschen Größe für einen Moment einzwängten. „Lass sie doch alle ‘rumspinnen, mach einfach das, was du für richtig hältst, was du verantworten kannst!“ – und ich musste dann doch wieder lächeln, allem Leid und Mist zum Trotz. Ja, so haben wir das früher hingekriegt. Manchmal fand ich Dich bieder und kleinkariert, oft wollte ich betont-nicht so sein oder werden wie Du: Aber ich wusste: Immer, „wenn was ist“, kriegen wir das zusammen geregelt. Wenn nötig. Vieles „konnte“ ich natürlich allein, aber eben nicht unbedingt alles. Wenn etwas erbarmungslos ins Leben hineinsuppt, kann man es nicht immer ohne Hilfe auslöffeln. Dein Ärmelaufkrempeln ist nun fast sprichwörtlich, Deine unkonventionellen, intuitiven Lösungsansätze auch. Doch, so wollte ich immer sein: nicht herum“hühnern“, sondern machen. Sinnvoll natürlich, durchdacht, vielleicht erst am nächsten Tag oder in der nächsten Woche, wenn sich einiges „gesetzt“ hat. Aber doch keinesfalls verdrängen, zuwarten, anderen überlassen. Dein Wird-schon bezog sich bei Dir immer nur auf Dinge, die man selbst nicht in der Hand hat. Sobald man nur einen Zipfel des Ungemachs erhaschen und ändern kann: Bitteschön. Jetzt nicht schlappmachen, sondern reagieren, handeln.

Dafür danke ich Dir von Herzen! Es war ein Baustein im Gefüge, „nicht schlappzumachen“. Und darüber bin ich so froh. Hattest Du mir nicht auch mal die Fabel vom Frosch erzählt, der in den Sahnekrug fiel und so lange mit seinen Schwimmhautfüßen ruderte, bis er schier königlich auf einem Schlagsahneberg thronte und – schwupps! – mit gekonntem Sprung in heimatliche Sumpfgefilde zurückfand?

Ach ja, Frosch: Über meine Froschgeschichte (es geht um die Recklinghäuser Autorennacht '24, bei der ich ins Finale gekommen bin; die "eigentliche" Froschgeschichte kann man nur in der Anthologie nachlesen) hätten wir uns bestimmt gemeinsam amüsiert. Du hättest an meinem Ruhrdeutsch noch einiges beanstandet – denn Du konntest es ja deutlich besser als ich. Aber die Geschichte hätte Dir gefallen, das weiß ich. Vielleicht hättest Du erstaunt geguckt, denn als ich Kind schrieb ich fast immer in hölzernen, unlebendigen Sätzen. Du schlugst, sozusagen, die Hände über dem Kopf zusammen, wie man dermaßen ungelenk formulieren kann. „Du bist doch sonst nicht so“. Aber das war wohl der Schule geschuldet, dem Richtigmachenwollen in einer Umgebung, in der Ruhrdeutsch zu sprechen genauso verboten war wie Umgangssprachliches im Schriftdeutsch. „Mit frisierter Schnauze“, sagtest Du – Berlin-Fan, Erinnerung aus Deiner Kindheit. Du fandest es „locker“ besser. Aber es gab Lehrer, vor allem Lehrerinnen, die ließen nichts durchgehen, so eine Froschgeschichte hätte ich in der Schule niemals lesen dürfen. So ändern sich die Zeiten.

Heute würdest Du 95 Jahre. „Nein, das wäre kein Spaß gewesen“, höre ich Dich sagen. Was ich über manche Altenheime höre, bestätigt Dich. Im Himmel ist es ganz bestimmt gemütlicher.

Gerade telefonierte ich mit einem Künstler, der Himmelsbilder malt. Sicher ist auch Dein Lieblingsblau dabei. Ich male und zeichne aktuell lieber Hortensien; da konntest Du die blauen nicht leiden, meintest, dass die irgendwas Chemisches „zu fressen kriegen“ – aber stimmt das eigentlich? Ich habe es bisher noch nicht herausbekommen. Die Hortensien in meinem Garten sind rosa, lila und weiß, und meine gemalten haben meist nur einen blauen Schimmer.

 

 

 


  

















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