an meine Mutter
du hättest gesagt
komm, wir trinken ein Bier
zusammen!
und: du glaubst an den
lieben Gott?
dann vertrau ihm auch!
einen Witz hättest du
erzählt
einen dummen
damit ich die Tränen
weglachen kann
heute ist alles anders
die Geschichte meines
Scheiterns ist lang
und fällt in eine trostlose Landschaft
manchmal höre ich dich von
ferne
die Liebe hört niemals auf
Seit Deinem letzten Geburtstag hat sich vieles ereignet, unerwartet viel
Gutes und Schönes.
„Siehste“, höre ich Dich sagen, „kommt Zeit, kommt Rat!“ Außerdem, manchmal,
als Zusatz wie im Gedicht: „Und immer dem lieben Gott vertrauen“.
Sogar ein Unfall im letzten September endete auf wunderbare Weise glimpflich
– mit zwei blauen Flecken, mehr nicht. „Siehste. Man muss auch mal Glück haben.“
Aber Du hättest natürlich ganz schön Nerven gelassen, hätte ich Dir den Hergang
erzählt. Um dann zu schließen: „Gott sei Dank.“ Ja, da stimme ich Dir zu. Von
wo aus sollte sonst ein Schutzengel kommen?
Zur Krisenzeit, vorher: „Haste dich auch bei deinen Freunden bedankt?“ Ja, Mutter, hab‘ ich. Früher
war das immer eine gefürchtete, doofe Frage. Aber eher, weil es darum ging,
einer Tante, die man einmal im Leben gesehen hatte, für ein unbrauchbares
Geburtstagsgeschenk danken zu müssen. Entsprechend blutleer fiel mein
diesbezüglicher Brief damals aus – nicht ohne unelegant am Schreibgerät zu
kauen.
Freunde, die sich bei lebenswichtigen, lebensbestimmenden Dingen behilflich
zeigten, fanden sich erst später (ich glaube, das ist tatsächlich eine Altersfrage,
weil zunächst die Eltern für so etwas „zuständig“ sind). Die Freundin, die meinen
Abschluss in Französisch rettete, indem sie ihren Klausurtext in meinen
Blickwinkel schob, hat heute noch meinen Dank, sie war „Gold wert“ – Krisenzeiten
können ja ganz unterschiedlich ausfallen. Jetzt war allerdings eher ein „Kannst
immer anrufen, Tag und Nacht“ vonnöten. Das sagte mir eine – andere – Freundin
genau dann, als ich es brauchte. Allein das zu wissen, das zu dürfen, hat
geholfen – auch wenn ich das Angebot kaum mal in Anspruch genommen habe. Eine
Deiner Nichten zeigte sich ebenfalls hilfsbereit. Ich bin mir sicher, das
freut Dich besonders. Manchmal reicht es einfach, verstanden zu werden – und von
dem ständigen Gefühl des Scheiterns abgelenkt zu sein.
Oft habe ich an Dich gedacht, wenn ich mich winzig klein fühlte, kleiner
als ein Kleinkind – wenn ich Sätze hörte, die nicht passten, die mich wie ein
Kleid in der falschen Farbe und in der falschen Größe für einen Moment einzwängten.
„Lass sie doch alle ‘rumspinnen, mach einfach das, was du für richtig hältst,
was du verantworten kannst!“ – und ich musste dann doch wieder lächeln, allem Leid
und Mist zum Trotz. Ja, so haben wir das früher hingekriegt. Manchmal fand ich
Dich bieder und kleinkariert, oft wollte ich betont-nicht so sein oder werden
wie Du: Aber ich wusste: Immer, „wenn was ist“, kriegen wir das zusammen geregelt.
Wenn nötig. Vieles „konnte“ ich natürlich allein, aber eben nicht unbedingt alles.
Wenn etwas erbarmungslos ins Leben hineinsuppt, kann man es nicht immer ohne Hilfe auslöffeln. Dein Ärmelaufkrempeln ist nun fast sprichwörtlich, Deine
unkonventionellen, intuitiven Lösungsansätze auch. Doch, so wollte ich
immer sein: nicht herum“hühnern“, sondern machen. Sinnvoll natürlich,
durchdacht, vielleicht erst am nächsten Tag oder in der nächsten Woche, wenn
sich einiges „gesetzt“ hat. Aber doch keinesfalls verdrängen, zuwarten, anderen
überlassen. Dein Wird-schon bezog sich bei Dir immer nur auf Dinge, die
man selbst nicht in der Hand hat. Sobald man nur einen Zipfel des Ungemachs
erhaschen und ändern kann: Bitteschön. Jetzt nicht schlappmachen, sondern
reagieren, handeln.
Dafür danke ich Dir von Herzen! Es war ein Baustein
im Gefüge, „nicht schlappzumachen“. Und darüber bin ich so froh. Hattest Du mir
nicht auch mal die Fabel vom Frosch erzählt, der in den Sahnekrug fiel und so
lange mit seinen Schwimmhautfüßen ruderte, bis er schier königlich auf einem Schlagsahneberg thronte
und – schwupps! – mit gekonntem Sprung in heimatliche Sumpfgefilde zurückfand?
Ach ja, Frosch: Über meine Froschgeschichte (es geht um die Recklinghäuser Autorennacht '24, bei der ich ins Finale gekommen bin; die "eigentliche" Froschgeschichte kann man nur in der Anthologie nachlesen) hätten
wir uns bestimmt gemeinsam amüsiert. Du hättest an meinem Ruhrdeutsch noch
einiges beanstandet – denn Du konntest es ja deutlich besser als ich. Aber die
Geschichte hätte Dir gefallen, das weiß ich. Vielleicht hättest Du erstaunt
geguckt, denn als ich Kind schrieb ich fast immer in hölzernen, unlebendigen
Sätzen. Du schlugst, sozusagen, die Hände über dem Kopf zusammen, wie man dermaßen ungelenk formulieren kann. „Du bist doch sonst nicht so“. Aber das war wohl der
Schule geschuldet, dem Richtigmachenwollen in einer Umgebung, in der
Ruhrdeutsch zu sprechen genauso verboten war wie Umgangssprachliches im Schriftdeutsch.
„Mit frisierter Schnauze“, sagtest Du – Berlin-Fan, Erinnerung aus Deiner
Kindheit. Du fandest es „locker“ besser. Aber es gab Lehrer, vor allem
Lehrerinnen, die ließen nichts durchgehen, so eine Froschgeschichte hätte ich
in der Schule niemals lesen dürfen. So ändern sich die Zeiten.
Heute würdest Du 95 Jahre. „Nein, das wäre kein Spaß
gewesen“, höre ich Dich sagen. Was ich über manche Altenheime höre, bestätigt
Dich. Im Himmel ist es ganz bestimmt gemütlicher.
Gerade telefonierte ich mit einem Künstler, der Himmelsbilder malt.
Sicher ist auch Dein Lieblingsblau dabei. Ich male und zeichne aktuell lieber
Hortensien; da konntest Du die blauen nicht leiden, meintest, dass die
irgendwas Chemisches „zu fressen kriegen“ – aber stimmt das eigentlich? Ich
habe es bisher noch nicht herausbekommen. Die Hortensien in meinem Garten sind
rosa, lila und weiß, und meine gemalten haben meist nur einen blauen Schimmer.
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