Sonntag, 9. Mai 2021

WC – Während Corona: where’s a water closet? [Glosse]





Wenn ein Randproblem zum Hauptproblem wird


Vor einigen Jahren beging ich den großen Fehler, gemütlich mit einer Freundin aus dem Studium eine Kanne Tee zu trinken und dann meine Heimfahrt anzutreten. In dem Zusammenhang erinnert mich dieses „Antreten“ an das altmodische „Austreten“ … genau dazu gleich die Durchsage im Zug: Alle Zugtoiletten sind defekt, es tut uns leid.

An meine Bauchkrämpfe, ganzganz kurz vor einer drohenden Peinlichkeit, erinnere ich mich noch wie heute. Tee, vor allem in größeren Mengen, also bitte nur noch „stationär“. Ich habe mich brav dran gehalten.

Aber trinken muss der Mensch nun mal, und das Gegenteil dann irgendwann auch. Auf längeren Spaziergängen, kleinen Wanderungen gibt es also immer einen Zeitpunkt, zu dem man irgendwo „einkehrt“: eine Kleinigkeit isst, etwas (nicht zuviel! und keinen Tee!) trinkt und dann irgendwann das freundliche Örtchen aufsucht. Oder, wenn man Butterbrot und Getränk im Rucksack hat, einen Euro in die Hand nimmt und fragt: Darf ich mal eben, ich bezahle es natürlich auch?

Kein Problem also. Bis zu den Corona-Maßnahmen, die die Gastronomie, wie man sie kennt, nun für Monate deckeln und höchstens noch Mitnahme-Angebote dulden. Das heißt, es gibt nur noch eine Durchreiche durch Tür oder Fenster, ein provisorisches Büdchen oder einen geparkten Imbisswagen mit hektischer Bestellmöglichkeit aus einer überschaubaren Auswahl – vor allem aber, was für unser Thema wichtig ist, absolut ohne Zugang zum Haupthaus. Für den ersten Teil des leiblichen Wohls ist also gesorgt, für den zweiten hingegen nicht. Wie man den managt, bleibt einem selbst überlassen, gedanklich allein gelassen.

Auf einem idyllischen historischen Weg im frühen Frühling, als die Bäume noch keinerlei grünen Sichtschutz trugen, fällt es mir erstmalig schmerzhaft auf: Nicht einmal das „Waldklo“ ist benutzbar. Erschwerend kommen Warnschilder dazu: Bergschäden! Die Wege nicht verlassen!

Okay. Zuerst ist man ja noch irgendwie hoffnungsvoll. Aber dann wird klar: Hier ist nichts. Keine Gelegenheit. Niente. Wie machen das eigentlich die anderen? (Die haben dasselbe Problem, reden nur nicht drüber. Und wenn doch, kann man skurrile Geschichten erfahren, deren Details hier lieber schweigen).

Ich kenne noch die Zeiten, zu denen eine Bahnhofstoilette ein unbeschreiblich gruseliger Ort war (einmal … und nie wieder!); schon von weitem war zu riechen, wo man besser nicht hingeht. Hier nun ein ausdrücklicher Dank an jenen klugen Menschen, der auf die Idee kam, die schaurige Bedürfnisanstalt durch eine heitere, hygienische und von einem lebenden Menschen gepflegte Einrichtung zu ersetzen – oft sogar mit frischen Düften und Musik im Hintergrund. Natürlich gegen ein Entgelt … aber in diesem Fall zahle ich gern.

Zum Glück gehen die Schneisen der Corona-Maßnahmen nicht bis hierhin. Allerdings bietet, natürlich, nicht jeder Bahnhof eine solche Ausstattung. Ich kenne da einen, der gerade renoviert wird … jedoch weiterhin toilettenlos. Früher habe ich mir dann, zumindest im Sommerhalbjahr, gegenüber ein Eis genehmigt und sämtliche Gastfreundlichkeiten genutzt. Das geht nun auch nicht mehr.

So bin ich schon manches Mal von irgendeinem Außenbezirk zurück zum Hauptbahnhof gefahren, um dort mein Euro-Geschäft abzuschließen; sehr umständlich, wenn man eigentlich ganz woanders spazierengeht oder fotografiert. Und teuer, wenn man kein Ticket hat, das solche Herumfahrerei inkludiert; gerade kürzere Strecken haben es preislich ja in sich.

Unterwegs in einem denkmalgeschützten (v. a. Wohn-)Gebiet, frage ich in einem Supermarkt nach, dessen Übersichtlichkeit mir eine gewisse Hoffnung auf menschliche Großmut einflößt. Nein, nur für Kinder und Schwangere, lautet die Antwort, deren Brutalität offenbar nur jemandem klar ist, der gerade nur ein einziges Problem hat – nämlich das, weder Kind noch schwanger zu sein. Immerhin treffe ich auf Mitleid in einer Apotheke und habe auf diese Weise das Vergnügen, ins tiefe Innere eines der Denkmalhäuschen zu kommen – aber es ist schon unschön, als Bittstellerin auftreten zu müssen und vor lauter Pein einen besonders tiefen Griff in die Geldbörse zu tun, um sowohl Kaffeeschweinderl als auch Gewissen zu besänftigen.

Und hier eine weitere ungeahnte Rettung in der letzten Minute: Ich habe mich fast schon aufgegeben, da komme ich um die Ecke und sehe eine Outdoor-Galerie mit ganz vielen Skulpturen. Eine Dame sitzt draußen in der Sonne, ich fange ganz unterwürfig an … und sie sagt: Ooooh, da kann ich helfen. Dritte Tür links, und wenn Sie dann etwas für unsere afrikanischen Künstler in die Spendenbox werfen, freuen wir uns!


Stay at home, jajaja, aber doch nicht über Monate! Ich merke, ich bin weniger beweglich geworden. Nicht zuletzt deswegen, weil mir lange Spaziergänge einfach keinen Spaß mehr machen. Aus Gründen.



Text und Foto © Marlies Blauth









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