Dienstag, 17. August 2021

#Menschen Tagebuch | 3

 






Stille

 

An meine Schutzmaske

habe ich mich gewöhnt …

 

Das schrieb ich, seltsamerweise, ein paar Monate „vor Corona“, und so geht es mir jetzt, gezwungenermaßen, und so geht es den anderen – beispielsweise in Bus und Bahn.

Alles ist leise. Das kann angenehm sein, doch man spürt das Gedämpfte, das Eingeschränkte. Niemand lacht, niemand hat irgendeine Laune. Wir funktionieren durch den Tag.

Ist das die Welt, die wir für immer wollen?

 

Ich bin auf dem Weg, Bilder aus einer Ausstellung zu holen. Eine Vernissage hatte stattgefunden, an der ich auch teilnahm. Auch da war eine „zurückgenommene“ Stimmung zu spüren, man verlor sich im Abstandhalten (draußen vor der Tür) und Bemerkungen wie „die Meisten … ja geimpft.“ Doch Lächeln, Freude, Bewunderung der Bilder (später in abgezählten Kleinstportionen) – dies alles fiel weitgehend aus: wie gekappt, Gefühle abgeflämmt mit einem Streichholz, pfsch. Wir sind da, aber nur halb.

Die Mutter einer Freundin aus Kindertagen hatte damals, vor gut 50 Jahren, gefragt, wann ich mal wieder zu Besuch komme – sie höre mein Lachen so gern. Heute hat ihre Tochter Angst, mich zu sehen. Sie misstraut den Radfahrern, die sie überholen, und schimpft, wenn die keine Masken tragen.

Ich versuche zu vergessen. Dabei vergesse ich aber auch die Fröhlichkeit. Wie geht die? Hat man sie, macht man sie? Ich weiß es nicht mehr.

Gerade fahre ich durch Wuppertal. Hier habe ich – wegen verschiedener Ursachen – eine depressive Zeit erlebt, eine unfröhliche Zeit: Funktionierenmüssen, Zahlen (damals: Noten, Semesteranzahl ...). Das ploppt nun wieder auf. Dabei hatten wir uns später doch arrangiert, die Stadt und ich. 

Damals war ich sprachlich ziemlich unkreativ. Ein Mensch, der lediglich seine Aufgaben erfüllt, spricht eine entsprechend pragmatische Sprache. Heute weiß ich, dass ich daran sehr gelitten habe. Was „herauswollte“, blieb kläglich stecken. Ich habe geglaubt, wenn ich alles schön brav erledige, ist alles gut. Dieser ängstliche Mangel an Geist tat allerdings überhaupt nicht gut.

Die gesellschaftliche Stimmung heute erinnert mich daran: Alles richtig machen. Folgsam sein. Das Individuelle hintanstellen. Sprache wird vielfach heruntergeschraubt auf: Pandemie, noch-nicht-zu-Ende, Impfzentren (mit Bratwurstangebot für die ganze Familie), Schutz und Nicht-Schutz, wir-dürfen-nicht-unvorsichtig-sein, Inzidenzen und R-Werte, Fingerabdrücke im Personalausweis (überhaupt: Ausweis, Sich-Ausweisen, was eigentlich Sich-Hereinweisen bedeutet und eben nicht mehr so einfach geht).

Das lässt keinen Raum für Kreatives – dabei wäre doch jede/r ein Künstler (nach Josef Beuys), stellt momentan jedoch sein Potential, müde und erzwungen, tief unter den Scheffel. Der Heilige Geist ist ausgesperrt, möchte ich fast behaupten: Wir dürfen keine Spreader sein, auch nicht den Heiligen Geist weitertragen. Wir mahnen und werden ermahnt, immer wieder. Was mich auch wieder an die teils sektenartige Atmosphäre in Wuppertal erinnert: Da kam nicht selten der Teufel vor. Auch in meiner Gemeinde, ganz normal evangelisch, wurde dringend vor ihm gewarnt. Man konnte sich wohl mit einem festen Glauben gegen ihn „impfen“ … die Fortsetzung blieb mir erspart, ich ging nie mehr in diese Gruselkirche. Nie mochte ich diese Art Pädagogik, auch heute ist sie mir zuwider. Dem Bösen eine Gestalt zu geben, mit Hinkefuß (weil: Huf) und Hörnern, finde ich übrigens wunderbar fantasievoll. Aber ständig ermahnt und bewarnt zu werden, habe ich noch nie aushalten können (können das andere?). Das tötet den Heiligen Geist, kreative Gedanken und Ideen. Die gedeihen nicht, wenn man sich angstvoll duckt.

Womit ich keinesfalls sagen will, dass man nicht vor- und umsichtig sein soll, besonders wenn es um ansteckende Krankheiten geht. Aber verantwortlich handeln ist eben etwas anderes, als Maßgaben entgegenzunehmen, die durchaus auch mit Drohungen durchwachsen sein können. Klug und gefühlvoll – also auch: empathisch – zu sein, stünde uns gut an. Komm, Heiliger Geist! Nicht nur zu Pfingsten. Beseele uns neu, bring das zurück, was uns fehlt.

 

Marlies Blauth | im August 2021


 







Text und Bilder © Marlies Blauth








 

 




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