Kohlenstaub:
Näherungen
zu „Bilder aus Kohlenstaub“ von Marlies Blauth, edition exemplum,
Athena-Verlag Oberhausen 2021
Gratulation! Gratulation: Dem Athena-Verlag, der 2021 in seiner edition
exemplum dieses wunderbare Buch vorgelegt hat. „Bilder aus Kohlestaub“ vereint
eben solche – Bilder aus Kohlestaub – und Gedichte von Marlies Blauth zu einer
eindrucksvollen Erinnerungsreise durch das Ruhrgebiet. Sie hat dafür Kohle zu
Staub zerrieben und auf Leinwände gebracht, Kindheitsbilder aus dem Staub der Jahre
geborgen und den Bildern gegenübergestellt. Auch wer das Ruhrgebiet nicht kennt
– wie die Autorin dieser Zeilen – wird sich kaum dem Sog dieses Buchs entziehen
können. Umso stärker dürfte dies für diejenigen Leser:innen gelten, die mit
Blauth gemeinsame Erinnerungen teilen. Und es ist auch ein wirklich
wunderschönes und überaus sorgfältig gestaltetes Buch.
Wie bespricht man Bilder? Vielleicht taugt die lyrische Annäherung,
um eine Vorstellung von ihrer Wirkung zu geben. Blauths Gedichte hingegen sprechen
für sich selbst: man sollte sie unbedingt lesen! Und die Bilder ansehen,
natürlich auch.
ich war noch nie ∙
dort war ich noch nie ∙ Fremdgebiet ∙ das Rußige habe ich nur ∙ vom Sagenhören
im Kopf ∙ es war einmal im Pott ∙ jetzt vor Augen ∙ auf diesen Bildern ∙ rußig rostrot
verschattet ∙ gemalt geschrieben: so schön ∙ können Erinnerungen aus Kohle sein
Zentral in diesem Band ist der künstlerische Prozess, eigene Bilder
mit eigenen Gedichten zu konfrontieren. Selbstverständlich gilt dies auch
umgekehrt: die Gedichte bilden sich ab. Nichts daran ist plakativ. Die
Beziehungen weben unter der Oberfläche, nur gelegentlich greifen die Worte das
Sichtbare unmittelbar auf und führen es weiter.
Schlotbäume ∙
wegloses Schwarz davor ∙ dies streifige Weiße ∙ Weg ∙ heißt Weg ∙ als seien bei
jedem Schritt ∙ Schwellen zu überschreiten
in der Brücke ∙
klafft ein Loch ∙ Schwärze hat den Übergang verschlungen ∙ wird Übergang ∙ in
die Zeit danach ∙ vorher Erwartungen an elegante Bögen ∙ Zusammenkünfte ∙ nun leerer
Raum
„Land aus Rost und
Staub“ ∙ hier opfert keiner mehr ∙ für glückliche Fahrt ∙ am Poseidontempel auf
der Halde ∙ der graue Himmel zehrt auf ∙ was ohnehin nie Säulen waren
So abweisend manche der Landschaften erscheinen mögen, Blauths
Gedichte sind im besten Sinne zugänglich, öffnen sich der Leserin, dem Leser
als Projektionsfläche eigener Erfahrungen und Erinnerungen. Dessen ungeachtet schweben
sie selbst über zahlreichen Schichten verdichteter Erfahrung – bis in die
jüngste Zeit, übrigens. Sanfte Worte findet Blauth für die kollektive
Verstörung, der wir alle in diesen pandemischen Zeiten der Abschottung
anheimgefallen sind. So möchte sie einfach „eine Rose verschenken“ und sie tut
dies in ihren Gedichten, wenn nicht in der Realität. Uns wird ein „sonniger
Herbsttag 2020“ sorgsam aufbewahrt.
Die vor ihrem ‚es war einmal‘ zurückgelassenen Menschen müssen neue
Namen finden für diese maschinen-gezeugte Landschaft. Damit die Kinder, die
danach kommen, wissen wie sie die Heimatmarkierungen zu nennen haben: Haldenberge,
Kahlflächen, die in vergangener Zeit fruchtbares Ackerland waren. Blauth
braucht nur wenige Worte, zwei Strophen mit zweimal sechs Zeilen, um die
Transformation der Landschaft von Natur zu Dienstbarkeit zu Abraum und
schließlich zu neuem Wachstum fassbar zu machen. Wo heute der Horizont rot
glüht, da steht ein „Gebirge aus Bäumen“. Und es wird einen Namen haben,
spätestens in der nächsten Generation.
durch Nebel ∙
schwaden ∙ schemen ∙ Türme ∙ der Klang der Glocken ∙ ist unter Tage gegangen ∙
zerrinnt im Unbestimmten ∙ Erinnerungen sammeln Staub
da ist ein Sturm um
das Gebäude ∙ nicht zu fassen ∙ die tosende Schwärze ∙ kreischt und wütet über
das Papier ∙ am Rand ∙ außen am rechten ∙ Rand ∙ loht ein gleißendes Weiß ∙ „im
Hintergrund“ ∙ so war das einmal ∙ „kochten die Hochöfen“
In manchen der Gedichte ist die Landschaft weit aufgesperrt und
lädt zur Erkundung, in anderen schlägt ein mürrischer Tag die Tür zu und
scheucht die Wörter nach innen. Vielleicht ist seine Schicht zu Ende.
Vielleicht hat er sich abgearbeitet an diesen düsteren Farben, die zwischen
Licht und Schatten nur ein rotes Glühen zulassen? Da sitzt ein lyrisches Ich
mit sich allein und schreibt Worte auf kariertes Papier, die niemand sonst zu
lesen bekommt.
Blauth malt mit ihren Worten wie mit der Kohle. Sie zerreibt die
Kohle und macht sie dem Bild gefügig und in einigen ihrer Gedichte verfährt sie
ähnlich mit ihrer Sprache: zerreiben und zu neuem fügen. Was für ein herrliches
Wort, zum Beispiel, ist „Ohratem“. „Gleißendes“, das „tanzt und tellert“. Dabei
muss den Ohren, denke ich mir, doch fast die Luft weggeblieben sein, im Gelärm
der Stahlwerke.
graues Gewölk ∙ über
Nachtschwärze ∙ über grauer Abschabung ∙ eine einzelne Spitze ∙ da wächst eine
ganze Kirche ∙ heraus ∙ die Stadt duckt sich unter das Abendtuch ∙ in den
Gassen ∙ versickern letzte Gespräche
Blauth gelingt es, ein ganzes Leben und seine Landschaften bei
seinen Gedichten zu packen. Auch das Finstere wird nicht ausgespart. Durchaus
taugen diese Gedichte auch dazu, das Grauen zu benennen. Da wird dem Park
unerwartet das Geschichtsbuch vorgehalten und im Schatten nistet die Schuld.
im Park behauptet
ein Tempel antike Bezüge ∙ an Säulen ∙ gleiten Schatten ∙ die Erde ist ∙ mit
wüster Geschichte getränkt ∙ die Bäume tragen Morde in den Jahresringen ∙ auf
der Dunkelseite irren die Sichtachsen ab
Sie hat Worte zur Hand, diese Dichterin, die sie den Leser:innen
darreicht. Die taugen zur Stärkung, zum Aufbewahren in Gedächtnisnähe und um
damit an eigene Erinnerungen zu rühren. Erinnerungen, ja. Es ist dies ein Buch
voller Erinnerungen. An das Kind, das einmal war, und in den Gedichten dem
Alltag begegnet, der einmal war: der Warmherzigkeit der Mutter, dem
Heimwehzauber des Vaters, dem blattgold-freien, nicht-eben-üppigen des
Alle-Tage, dem Archiv der einfachen Dinge. Ich denke mir aufgeschürfte Knie
dazu, Kamillentee gegen das Bauchweh, wenn die „gemischte Tüte“ zu groß war.
Den Auszug mit rotem Mantel in die Ferne. Die Rückkehr.
und immer ∙ wieder ∙
die Halden ∙ Kohle ∙ Staub ∙ und Halden ∙ zu Landschaften aufgeworfen ∙
alternde Maulwurfshügel ∙ Schattenseiten an kärglichem Licht ∙ Schlote ∙ und
doch ∙ wenn Licht ist ∙ gibt es Rosen und ∙ Worte auf den Weg ∙ was ∙ zum
Mitnehmen
Ich glaube fast dies Ruhrgebiet zu kennen. Nun, nachdem ich diese
Gedichte gelesen, diese Bilder angesehen habe. So schön können Erinnerungen aus
Kohle sein. Ich muss unbedingt einmal hinfahren. Unbedingt.
November 2021
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