Sonntag, 14. November 2021

Kohlenstaub: Näherungen | Rezension von Patricia Falkenburg

 



Kohlenstaub: Näherungen

zu „Bilder aus Kohlenstaub“ von Marlies Blauth, edition exemplum, Athena-Verlag Oberhausen 2021

 

Gratulation! Gratulation: Dem Athena-Verlag, der 2021 in seiner edition exemplum dieses wunderbare Buch vorgelegt hat. „Bilder aus Kohlestaub“ vereint eben solche – Bilder aus Kohlestaub – und Gedichte von Marlies Blauth zu einer eindrucksvollen Erinnerungsreise durch das Ruhrgebiet. Sie hat dafür Kohle zu Staub zerrieben und auf Leinwände gebracht, Kindheitsbilder aus dem Staub der Jahre geborgen und den Bildern gegenübergestellt. Auch wer das Ruhrgebiet nicht kennt – wie die Autorin dieser Zeilen – wird sich kaum dem Sog dieses Buchs entziehen können. Umso stärker dürfte dies für diejenigen Leser:innen gelten, die mit Blauth gemeinsame Erinnerungen teilen. Und es ist auch ein wirklich wunderschönes und überaus sorgfältig gestaltetes Buch.

 

Wie bespricht man Bilder? Vielleicht taugt die lyrische Annäherung, um eine Vorstellung von ihrer Wirkung zu geben. Blauths Gedichte hingegen sprechen für sich selbst: man sollte sie unbedingt lesen! Und die Bilder ansehen, natürlich auch.

 

ich war noch nie ∙ dort war ich noch nie ∙ Fremdgebiet ∙ das Rußige habe ich nur ∙ vom Sagenhören im Kopf ∙ es war einmal im Pott ∙ jetzt vor Augen  ∙ auf diesen Bildern ∙ rußig rostrot verschattet ∙ gemalt geschrieben: so schön ∙ können Erinnerungen aus Kohle sein

 

Zentral in diesem Band ist der künstlerische Prozess, eigene Bilder mit eigenen Gedichten zu konfrontieren. Selbstverständlich gilt dies auch umgekehrt: die Gedichte bilden sich ab. Nichts daran ist plakativ. Die Beziehungen weben unter der Oberfläche, nur gelegentlich greifen die Worte das Sichtbare unmittelbar auf und führen es weiter.

 

Schlotbäume ∙ wegloses Schwarz davor ∙ dies streifige Weiße ∙ Weg ∙ heißt Weg ∙ als seien bei jedem Schritt ∙ Schwellen zu überschreiten

 

in der Brücke ∙ klafft ein Loch ∙ Schwärze hat den Übergang verschlungen ∙ wird Übergang ∙ in die Zeit danach ∙ vorher Erwartungen an elegante Bögen ∙ Zusammenkünfte ∙ nun leerer Raum

 

„Land aus Rost und Staub“ ∙ hier opfert keiner mehr ∙ für glückliche Fahrt ∙ am Poseidontempel auf der Halde ∙ der graue Himmel zehrt auf ∙ was ohnehin nie Säulen waren

 

So abweisend manche der Landschaften erscheinen mögen, Blauths Gedichte sind im besten Sinne zugänglich, öffnen sich der Leserin, dem Leser als Projektionsfläche eigener Erfahrungen und Erinnerungen. Dessen ungeachtet schweben sie selbst über zahlreichen Schichten verdichteter Erfahrung – bis in die jüngste Zeit, übrigens. Sanfte Worte findet Blauth für die kollektive Verstörung, der wir alle in diesen pandemischen Zeiten der Abschottung anheimgefallen sind. So möchte sie einfach „eine Rose verschenken“ und sie tut dies in ihren Gedichten, wenn nicht in der Realität. Uns wird ein „sonniger Herbsttag 2020“ sorgsam aufbewahrt.

 

Die vor ihrem ‚es war einmal‘ zurückgelassenen Menschen müssen neue Namen finden für diese maschinen-gezeugte Landschaft. Damit die Kinder, die danach kommen, wissen wie sie die Heimatmarkierungen zu nennen haben: Haldenberge, Kahlflächen, die in vergangener Zeit fruchtbares Ackerland waren. Blauth braucht nur wenige Worte, zwei Strophen mit zweimal sechs Zeilen, um die Transformation der Landschaft von Natur zu Dienstbarkeit zu Abraum und schließlich zu neuem Wachstum fassbar zu machen. Wo heute der Horizont rot glüht, da steht ein „Gebirge aus Bäumen“. Und es wird einen Namen haben, spätestens in der nächsten Generation.

 

durch Nebel ∙ schwaden ∙ schemen ∙ Türme ∙ der Klang der Glocken ∙ ist unter Tage gegangen ∙ zerrinnt im Unbestimmten ∙ Erinnerungen sammeln Staub

 

da ist ein Sturm um das Gebäude ∙ nicht zu fassen ∙ die tosende Schwärze ∙ kreischt und wütet über das Papier ∙ am Rand ∙ außen am rechten ∙ Rand ∙ loht ein gleißendes Weiß ∙ „im Hintergrund“ ∙ so war das einmal ∙ „kochten die Hochöfen“

 

In manchen der Gedichte ist die Landschaft weit aufgesperrt und lädt zur Erkundung, in anderen schlägt ein mürrischer Tag die Tür zu und scheucht die Wörter nach innen. Vielleicht ist seine Schicht zu Ende. Vielleicht hat er sich abgearbeitet an diesen düsteren Farben, die zwischen Licht und Schatten nur ein rotes Glühen zulassen? Da sitzt ein lyrisches Ich mit sich allein und schreibt Worte auf kariertes Papier, die niemand sonst zu lesen bekommt.

 

Blauth malt mit ihren Worten wie mit der Kohle. Sie zerreibt die Kohle und macht sie dem Bild gefügig und in einigen ihrer Gedichte verfährt sie ähnlich mit ihrer Sprache: zerreiben und zu neuem fügen. Was für ein herrliches Wort, zum Beispiel, ist „Ohratem“. „Gleißendes“, das „tanzt und tellert“. Dabei muss den Ohren, denke ich mir, doch fast die Luft weggeblieben sein, im Gelärm der Stahlwerke.

 

graues Gewölk ∙ über Nachtschwärze ∙ über grauer Abschabung ∙ eine einzelne Spitze ∙ da wächst eine ganze Kirche ∙ heraus ∙ die Stadt duckt sich unter das Abendtuch ∙ in den Gassen ∙  versickern letzte Gespräche

 

Blauth gelingt es, ein ganzes Leben und seine Landschaften bei seinen Gedichten zu packen. Auch das Finstere wird nicht ausgespart. Durchaus taugen diese Gedichte auch dazu, das Grauen zu benennen. Da wird dem Park unerwartet das Geschichtsbuch vorgehalten und im Schatten nistet die Schuld.

 

im Park behauptet ein Tempel antike Bezüge ∙ an Säulen ∙ gleiten Schatten ∙ die Erde ist ∙ mit wüster Geschichte getränkt ∙ die Bäume tragen Morde in den Jahresringen ∙ auf der Dunkelseite irren die Sichtachsen ab

 

Sie hat Worte zur Hand, diese Dichterin, die sie den Leser:innen darreicht. Die taugen zur Stärkung, zum Aufbewahren in Gedächtnisnähe und um damit an eigene Erinnerungen zu rühren. Erinnerungen, ja. Es ist dies ein Buch voller Erinnerungen. An das Kind, das einmal war, und in den Gedichten dem Alltag begegnet, der einmal war: der Warmherzigkeit der Mutter, dem Heimwehzauber des Vaters, dem blattgold-freien, nicht-eben-üppigen des Alle-Tage, dem Archiv der einfachen Dinge. Ich denke mir aufgeschürfte Knie dazu, Kamillentee gegen das Bauchweh, wenn die „gemischte Tüte“ zu groß war. Den Auszug mit rotem Mantel in die Ferne. Die Rückkehr.

 

und immer ∙ wieder ∙ die Halden ∙ Kohle ∙ Staub ∙ und Halden ∙ zu Landschaften aufgeworfen ∙ alternde Maulwurfshügel ∙ Schattenseiten an kärglichem Licht ∙ Schlote ∙ und doch ∙ wenn Licht ist ∙ gibt es Rosen und ∙ Worte auf den Weg ∙ was ∙ zum Mitnehmen

 

Ich glaube fast dies Ruhrgebiet zu kennen. Nun, nachdem ich diese Gedichte gelesen, diese Bilder angesehen habe. So schön können Erinnerungen aus Kohle sein. Ich muss unbedingt einmal hinfahren. Unbedingt.

 

 

Patricia Falkenburg,

November 2021

 

 

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