Dienstag, 18. April 2023

#Herbarium Tagebuch | 20

 






Idyllisch am Hang gelegen – mit Schlangen und Schnecken

Die Christuskirche in Schlangenbad 


Diese Kirche kannte ich längst, vielleicht hat sie das Thema meines Projekts sogar mitgeprägt, wer weiß?

Ich hatte aber nie ausführliche Fotos gemacht. Das darf ich jetzt, nach dem Gottesdienst. Ein bisschen beeile ich mich, denn eine offizielle Öffnungszeit gibt es hier – leider – nicht. Erfahre, dass die Ausmalung von 1912 kürzlich restauriert wurde und dass, oh karge 60er Jahre, ein Teil davon zeitweise hell übertüncht war – wie so oft. Nun ist aber alles wieder so, wie es sein soll(te). Architektur und Malerei bilden ein Ganzes, verstärken einander.

 





Immer wieder schaue ich auf liebevolle Details. So sehr ich verstehe, dass es auch das Bedürfnis nach Klarheit und Stringenz gibt, so bin ich andererseits davon überzeugt, dass der Mensch auch gern immer wieder Neues entdecken mag. Vor allem Kinder sehen in Wandflecken oder sonstigen Unebenheiten oftmals Gestalten und Muster, es scheint so, als wolle sich das Auge irgendwo „einhaken“, wie zum Protest gegen die Monotonie. 










Der Jugendstil ging spielerisch mit Formen und Farben um, entlehnte vieles aus dem Bereich der Natur und schuf – gleichsam zur Zähmung oder als Gegenpol zum Wildwuchs – so „verlässliche“ wie unendlich-gedachte Ornamente, deren Einzelelemente immer wieder anders gesehen, ja fokussiert werden können, je nach Standpunkt, Beleuchtung oder auch innerer Gestimmtheit. Das Individuelle, das Individuum ist also immer aktiv dabei.

 







Auf dem Bogenfries über dem Haupteingang befinden sich, neben verwobenen Bandmotiven und floralen Elementen, auch ein paar Tiere. Eine Schnecke ist dabei (nicht nur das Haus, das mit seiner Spiralwindung als Symbol der Unendlichkeit gilt, sondern auch der Schneckenkörper) und eine Schlange, die – durchaus biologisch korrekt, wie man im Ort Schlangenbad wohl mitunter beobachten kann – eine Eidechse um-schlingt oder auch ver-schlingt. Der Hinweis auf das hiesige Vorkommen der Äskulapnatter findet sich auch an der Eingangstür: Eine sich windende Schlange aus Metall dient als Türgriff.

 




Das Innere ist mit abstrakten Formen, Sternen-Variationen, pflanzlichen Motiven und auch figürlichen Szenen ausgemalt. Das tiefe, leuchtende Blau bietet zusammen mit Gelb- und Goldtönen (und ein paar wenigen Grün- und Rotsprenkeln) einen freundlichen Empfang und eine warme, fröhliche Raumatmosphäre.


 



Während ich herumlaufe und fotografiere, fragt mich der Lektor aus dem Gottesdienst: „Möchten Sie nicht auch mal fotografiert werden?“ Ich lache und finde seine Idee nett, also auch irgendwie herzerwärmend – und gebe ihm für einen Moment meine Kamera.

Und dann drücke ich die Schlangen-Türklinke herunter und gehe: Tschüs, du Kirchlein. Mögest du noch lange Freundlichkeit ausstrahlen.

 







 

Marlies Blauth | 18. April 2023

Text und Fotos © Marlies Blauth

 









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