Mittwoch, 31. Juli 2024

Gartenspaziergang

 











*Mein schöner Garten*

 

„Ist das herrlich heute“, höre ich meine Mutter sagen – sie liebte den Morgen eines strahlenden Sommertags nach einer eher kühlen Nacht.

„Komm mit raus in den Garten!“ – diese Aufforderung brauchte ich eigentlich nicht. Ich liebte es, in der Natur zu sein, und auch wenn ich als Jugendliche „Besseres“ zu tun hatte, als bei der Gartenarbeit zu helfen, so hatte ich als Kind doch immer wieder mitgewirkt und dabei sehr viel gelernt. Und unser Garten war mein Zuhause, alles, was darin kreuchte und fleuchte, empfand ich als Haustier und Freund. Sogar die Wespen gehörten mit zum Ganzen, man hatte lediglich aufzupassen, dass man sie nicht versehentlich verschluckte. Das war lebensgefährlich. Aber sonst gab es fast nur Freundliches: Farben, deren Nuancen immer wieder wechselten, die Metamorphose von der Blüte zur erntereifen Frucht; Bienen und Schmetterlinge, viele Vogelarten. Und Düfte, die ich so nie wieder“gefunden“ habe.

Mein Vater, ein leidenschaftlicher Gärtner, probierte viel aus, immer wieder war für mich – und für ihn auch – Neues zu entdecken, immer wieder sprossen neue Arten und Sorten von Blumen und Gemüse. Ich lernte, welche Pflanzen viel Wasser und gute (Kompost-)Erde brauchen, während sich andere als eher genügsam zeigten; was für Witterungsbedingungen gut oder schlecht waren; dass man manche Pflanzen an Stäben fixieren muss, während andere selbstständig irgendwo festranken; dass nicht alle winterhart sind, also Frost vertragen; was „einjährig“ und was „zweijährig“ heißt (letztere waren eine Geduldsprobe für das kindliche Gartengemüt), was Stauden sind („die kommen wieder“). Wo es summt und brummt, und welche Blüten von eher mäßigem Insekten-Interesse sind („die sehen nur schön aus“). Lange bevor die Themen Insekten- und Baumsterben, Energie- und Wasserknappheit und natürlich Klimawandel aufkamen, wurde mir gelehrt, dass der Garten ein Ökosystem ist oder jedenfalls der Teil eines größeren Ökosystems, und ich beobachtete, wie künstliche Dünge- und Spritzmittel nach und nach verbannt wurden, weil sie das ökologische Gleichgewicht empfindlich stören konnten. Schädlinge tauchten natürlich auf – ich erinnere mich, dass die Wühlmaus mitunter eine nicht-nette Rolle spielte („aber niedlich sehen sie ja aus“) –, doch irgendwie bekam es mein Vater mit seinem ewig grünen Daumen hin, dass wir trotzdem jedes Jahr knackigen Salat, aromatische Tomaten, winzige Paprika und riesige Zucchini ernten konnten. Gurken hingen wie vegane Würste unter dem Glasdach des Mini-Gewächshauses, ich lernte Gemüsesorten wie Neuseeländer Spinat, Pak Choi oder Palmkohl kennen, lange bevor sie allgemein bekannter wurden.

Damals, im Deutschland des aufbrechenden Wohlstandes (also im Westen, natürlich), begann man, die Nutzgärten abzuschaffen beziehungsweise nicht mehr zu wollen – denn die Zahl der Supermärkte mit ihrem riesigen Angebot wuchs und wuchs, da brauchte man selbst nicht mehr Spaten und Hacke zu schwingen. Vielleicht behielt man die Kräuterecke bei und für Oma ein paar Beerensträucher, ansonsten wurde der Garten zu einem kleinen Stück Park: ordentlich, pflegeleicht und leider langweilig. Keine Schmetterlinge mehr, kein Bienenfleiß – dafür gestreifte Markisen und edle Gartenmöbel. Nach Insekten schlug man oder sprühte sie tot, denn sie störten ja nur. Und irgendwann „kam“ das Glyphosat, mit dem man ebenso lästige Unkräuter umstandslos eliminieren konnte. Wie schön. Und es gipfelte darin, dass Gärten zu Schotterflächen mutieren mussten oder zu Parkplätzen plattiert wurden.

Bei uns wurde diese Entwicklung natürlich rundum kritisch gesehen; mein Vater sah voraus, was dann kam: nämlich lautstarkes Jammern, die Medien hoch und runter, wie schlimm das Bienen- und überhaupt Artensterben geworden sei. Es kamen dann auch öffentliche Mahnungen: wie ungesund sich steinerne Flächen aufheizen, wie ökologisch wertlos eine rasierte Rasenfläche ist. Trotzdem wurde weiterhin Schotter auf wertvolle Erde verteilt, dabei gegiftet und eliminiert, was das Zeug hielt. Ordentlich sollte es sein; die Natur ist schließlich ein Feind, ja ja.

Als Studentin wohnte ich in einem preisgünstigen Souterrain-Zimmer mit Blick auf grauen Asphalt. „Komm doch mit in den Garten“ wurde zu einer fast schmerzhaften Erinnerung. Da, wo ich wohnte, gab es nur noch Parkplätze mit undefinierbarem Randgestrüpp, jahreszeitenlos immergrünlich, und statt blühender Blumen fanden sich hier und da bunte Müllreste ein. Ich brauchte lange, um zu erkennen, dass mein ergrauendes Gemüt Natur wollte – und zwar im Alltag – und regelrecht abschaltete, wenn es sie nicht hatte. So musste ich weiterziehen, hatte das Glück, eine kleine Wohnung in einem ehemaligen Bauernhaus zu bekommen. Einen Garten – „Bauerngarten“ … – gab es da zwar auch nicht, aber das Haus lag inmitten ehemaliger Weiden, wo ich Löwenzahn und Brennnesseln sammelte und mich, mit Wolldecke und Büchern ausgestattet, auf meine nächste Prüfung vorbereiten konnte. Immerhin. Auch wenn diese Wiesen vom Enkel der Vermieter nach Lust und Laune gemäht wurden und nicht nach einem Mahdschema, das interessanten und wertvollen Kräutern eine Chance eingeräumt hätte, und im übrigen das Milchvieh fehlte mit seinen Hinterlassenschaften, die, wie man heute weiß, ein Mini-Biotop darstellen.

Der elterliche Garten verlor nach und nach an Kraft, wie meine Eltern selbst. Als mein Vater nicht mehr lebte, war meine Mutter – die immer eine verlässliche Assistentin gewesen war, aber nie „Gärtnerin“ – mit der Gartenarbeit überfordert. Sie bändigte die Gartennatur, mehr aber auch nicht. Das Reservoir an wunderbaren Pflanzenarten schrumpfte auf einen müden Restbestand zusammen, mehr zufällig „selbst ausgesät“ als, wie früher, gestaltet. Aber Mama sprang beim Kinderhüten ein, wie sollte sie, bei nachlassenden Kräften, im Garten schaffen, was sie früher zu zweit erledigt hatten?

Inzwischen bekam ich meinen eigenen Garten – im Miniformat. Seine Fläche ist nicht zu vergleichen mit der des elterlichen Paradiesgartens. Aber ich nahm mir vor, das Können meines Vaters halbwegs weiterzuführen, zumindest so weit, dass ich selten(er)en Pflanzenarten ein Zuhause bieten kann, auf dass sich auch Tiere einfinden und es im Frühling und Sommer tatsächlich summt und brummt. Gegen die Schottergärten! Gegen das Bienensterben! Ein paar Pflanzen meiner Kindheit nahm ich mit, vor allem die herrlichen Phloxstauden (außerdem rettete ich einen Feuersalamander aus dem elterlichen Garten), aber das musste alles schnell gehen, vermutlich habe ich nicht alles Interessante wiedergefunden. Egal, ich pflanzte und säte neu, ohne über Gebühr das rauszureißen, was mein Vorgänger eingesetzt hatte. Das war eher langweiliges Zeug, aber doch Schatten spendend und für so manche Vogelart interessant.

Leider ist meine Familie eher nicht gartenaffin. Kürzlich hörte ich in einem Gesprächs-Nebensatz, dass ich mir ja doch eigentlich „zu viel“ Arbeit mit dem Garten mache und immer gemacht habe. Rasen und Mähroboter – und gut is‘. Hallo, Generation grün, hallo, ihr Klimarettenden? Noch nie was davon gehört, dass Pflanzen das CO2 wegschlabbern wie wir die Schokolade? Und dass so eine Rasenfläche eher karg ist  … na ja, allemal besser als Schotter, aber sonst eher nicht so doll …? Und dass überhaupt Mähroboter … den Igeln Schnauzen und Pfötchen abschneiden können und so weiter?

Ja, auf meinen 150 m² tummeln sich in der Tat Igel und Marder und viele Vogelarten, im Moment genieße ich, gemütlich auf dem Liegestuhl, das Hin und Her eines Rotkehlchenpaars, das seine Brut unermüdlich füttert. Die ihre Eltern mit einem Choral aus Tirilli und Zwitschern und Kreischen empfängt und vermutlich in den nächsten Tagen ihr Nest verlassen wird. (Frage: Was würden die Altvögel auf ’nem glattgemähten Rasen ohne störende Blümchen und Kräuter eigentlich finden?)

Mein Garten hat die Kommentare angezogen wie die Motten das Licht. „Der ist aber klein!“ (ja, sehe ich selbst …), „Du hast viel zu viele Sträucher!“ (und genau diese Dame schenkte mir einen weiteren, einen Kirschlorbeeeeer, der, wenn vielleicht nicht gerade eine ökologische Sünde, doch jedenfalls nicht besonders „wertvoll“ ist – und eher langweilig). Aber da ich einen ehemaligen Gebrauchtauto-Stellplatz systematisch „aufgeforstet“ und eine Geröllfläche neben der Straße zum Blühstreifen verwandelt habe, sind die allermeisten Bemerkungen eher von Respekt getragen: „Bei euch ist es immer so schön“ – „Ich wollte schon immer wissen, wem der tolle Garten gehört!“

Aber, wie oben schon erwähnt: (Auch) ein Naturgarten macht viel Arbeit … obwohl vieles so zufällig-selbständig wachsend wirkt. Gerade musste ich, fast wie eine Super-Friseurin, eine unschöne Wucherecke freischneiden. Eine Art Waldschrat hatte sich dort niedergelassen, mit wilden Ranken- und Wurzelhaaren, und was da eigentlich wachsen sollte, wurde stranguliert. Drei Stunden operierte ich herum, bis ich meine Knochen sozusagen einzeln zählen konnte. Kam eine Dame vorbei: „Ich liebe Ihren verwilderten Garten!“ Ich wusste ja, was sie meinte, aber im völlig derangierten Zustand konnte ich nur noch entgegnen: „Das will ich jetzt aber nicht hören! Verwilderte Gärten sehen doch ganz anders aus!“ Das ganze Gegenteil zum Kurzhaarrasen: Überlässt man alles der Natur, steht man irgendwann im (eigenen) Wald. Und der ist eher nicht farbenfroh.

Ich erlaube der Natur vieles, aber nicht alles. Und hoffe, dass ich mein Gärtchen noch lange habe … mit großem Dank an meine gärtnernden Eltern, die mir geradezu unmerklich so viel beigebracht haben.

 

 

Marlies Blauth

 














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