Gewichtige
Schönheit
Bekanntlich
gibt es immer wieder Zwiespälte im Leben – womit ich jetzt die
meine, bei denen man zwischen Behalten- und Loswerdenwollen
schlingert.
Auf
Vernissagen bekomme ich hin und wieder, meist vom Veranstalter, einen
Blumenstrauß; eine schöne Würdigung meiner Arbeit, der Kosten und
Mühen von Anlieferung und Aufhängung einer Ausstellung und so
weiter. Je opulenter aber der Strauß, desto größer die Bredouille;
das erfuhr ich erst kürzlich wieder. Denn meist komme und gehe ich
zu Fuß, in Kombination mit Bus und Bahn.
Der
Moment, so ein farbenprächtiges Dankeschön überreicht zu bekommen,
ist jedesmal wunderbar, zumal ich leider auch ganz andere Ansichten
kennen gelernt habe (über Künstler, die „froh sein können“,
eine Ausstellung machen zu dürfen und so was); wer also in diesem
Rahmen Blumen verschenkt, zeigt die Wertschätzung, die wir uns alle
wünschen.
Ohne
Auto kann so ein sensibles Gepäck, wie gesagt, zum Problem werden.
Der Strauß hatte in der Duschwanne übernachtet, ich im Hotelbett,
was bedeutet: Ich führte entsprechend viele Klamotten mit (mal
zwei, denn mein Sohn war auf der Vernissage dabei, um Fotos zu
machen), im Trolley, in unserer Familie „Hündchen“ genannt. So
zogen wir am nächsten Morgen also los, mein Sohn mit Fotoausrüstung
und Stativ, ich mit Handtasche, Hündchen und Blumenpracht. Das
Köfferchen hoppelte über das Kopfsteinpflaster, die Blumen schienen
mit jedem Meter ein Kilo mehr zu wiegen; und wie es die Ironie in
solchen Fällen will, kam mir in der nächsten Straße eine Frau
entgegen, die mit den Worten „Oooo, da sind ja meine Blumen!“
ihre Hand nach meiner gewichtigen Schönheit ausstreckte. Ob dement
oder rheinische Frohnatur, wurde mir nicht richtig klar, denn ich war
damit beschäftigt, blitzschnell zu überlegen, ob ich der Dame
„ihre“ Blumen überlassen sollte. Die Versuchung war groß, aber
ich hielt es für unhöflich zuzulassen, dass mein besonders schöner
Strauß in der übersichtlichen Kleinstadt herumgetragen und
womöglich wiedererkannt wird.
Es
war geplant, auf dem Weg nach Hause noch ein Ziel in Dormagen, das
liegt in der Nähe von Köln, anzustreben: Da ich – vermutlich 2013
– im Café seitenweise eine (kleinere) Ausstellung machen
werde, wollte ich die Gelegenheit nutzen und mal „vorbeischauen“.
Mir war bekannt, dass der Weg vom Bahnhof zur Fußgängerzone
mindestens zwei Kilometer beträgt, aber erstens sind wir gut zu Fuß
und zweitens hielt ich die Wegbeschreibung für die typische
Übertreibung jener Autofahrer, für die 500 Meter schon eine
Wanderung bedeuten. Allerdings zeichnete sich der Dormagener Bahnhof
nicht dadurch aus, deutlich auf komfortable Schließfächer
hinzuweisen (es schien verdammtnochmal so, dass er keine hat).
Schade, denn ich war davon ausgegangen, wenigstens das Hündchen
anständig parken zu können. Es blieb uns also nichts anderes übrig,
als mit allem Drumunddran mutig loszulaufen und erst einmal –
positiv denken! – hinter jeder Ecke Dormagens Fußgängerzone zu
erwarten. Ab und zu fragten wir einen Menschen, ob wir auf dem
richtigen Weg sind; die jeweiligen Nebensätze – noch sehr weit,
noch mindestens vier Ampeln – machten uns allerdings immer
verzagter. Die 30°, ganz untypisch für einen September, drückten
zusätzlich aufs Gepäck und auf die Stimmung. Und meine
Blumenschönheit fing nun deutlich an zu schrumpeln, erste
Einzelteile flogen schon schütter herum. Mein Sohn hatte Mitleid,
und als wir, wie im Märchen, an einem Brunnen vorbeikamen, schlug er
mir vor, die Blumen zwecks Auffrischung ins Wasser zu halten. Da kam
mir eine Idee – von der sich erst im Laufe der Zeit herausstellen
würde, ob sie gut oder böse ist: Ich beschloss, ihnen eine echte
Kur zu gönnen. Blieb zu hoffen, dass sie weder Zerstörungsgelüsten
anheim fallen noch in einer fremden Vase landen würden; und, nicht
unwichtig: Das Brunnenbecken war in Teichgröße, und wenn der Strauß
bei unserer Wiederkunft in der Mitte herumdümpeln würde, dann wäre
auch das Fotostativ als Angel zu kurz.
Um
einige Blumenkilo erleichtert, wanderten wir nun wieder frohgemut
weiter, um endlich im Café seitenweise mit Eiskaffee und
leckerem Flammkuchen unsere Energiespeicher wieder aufzufüllen. Sehr
hübsches Café übrigens, mit Lesestoff zum Ausleihen während des
Kaffeetrinkens oder zum Kaufen im Buchladen nebenan. Und mit Kunst an
den Wänden.
Der
Rückweg war natürlich begleitet von der Frage: „Na? Sindse noch
da?“ Die Ecke, in der ich die Blumen abgeladen hatte, war leer.
Ooooch. Aber, o Wunder, der Blumenstrauß war diagonal durchs Becken
gesegelt und schwamm nicht nur komplett, sondern deutlich erfrischt
und vor allem griffbereit in südöstlicher Ecke.
Die
Dormagener sind offenbar sehr freundliche Menschen, die nicht alles
gleich zerpflücken. Danke schön!
1 Kommentar:
Liebe Frau Blauth,
das ist ja eine köstliche Geschichte, die Sie da erlebt haben. Nun können Sie Ihre sprachlichen Ambitionen über die Lyrik hinaus auch noch auf derartige kleine, aber denkwürdige sinnige Geschichtchen (hier als Glosse formuliert) erweitern – als poetische Kurzgeschichte, als Chaplinade (mit kleinen Zusätzen als Drehbuch geeignet!) oder als Stoff für ein Bilderbuch. Das Letztere fällt mir spontan ein beim täglichen Erleben unseres bilderbuchhungrigen Enkelkindes.
Ekkehard Drefke (als neu inspirierter Kommentator Ihrer Arbeiten).
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