Donnerstag, 13. September 2012

[Glosse] Gewichtige Schönheit







Gewichtige Schönheit


Bekanntlich gibt es immer wieder Zwiespälte im Leben – womit ich jetzt die meine, bei denen man zwischen Behalten- und Loswerdenwollen schlingert.
Auf Vernissagen bekomme ich hin und wieder, meist vom Veranstalter, einen Blumenstrauß; eine schöne Würdigung meiner Arbeit, der Kosten und Mühen von Anlieferung und Aufhängung einer Ausstellung und so weiter. Je opulenter aber der Strauß, desto größer die Bredouille; das erfuhr ich erst kürzlich wieder. Denn meist komme und gehe ich zu Fuß, in Kombination mit Bus und Bahn.

Der Moment, so ein farbenprächtiges Dankeschön überreicht zu bekommen, ist jedesmal wunderbar, zumal ich leider auch ganz andere Ansichten kennen gelernt habe (über Künstler, die „froh sein können“, eine Ausstellung machen zu dürfen und so was); wer also in diesem Rahmen Blumen verschenkt, zeigt die Wertschätzung, die wir uns alle wünschen.

Ohne Auto kann so ein sensibles Gepäck, wie gesagt, zum Problem werden. Der Strauß hatte in der Duschwanne übernachtet, ich im Hotelbett, was bedeutet: Ich führte entsprechend viele Klamotten mit (mal zwei, denn mein Sohn war auf der Vernissage dabei, um Fotos zu machen), im Trolley, in unserer Familie „Hündchen“ genannt. So zogen wir am nächsten Morgen also los, mein Sohn mit Fotoausrüstung und Stativ, ich mit Handtasche, Hündchen und Blumenpracht. Das Köfferchen hoppelte über das Kopfsteinpflaster, die Blumen schienen mit jedem Meter ein Kilo mehr zu wiegen; und wie es die Ironie in solchen Fällen will, kam mir in der nächsten Straße eine Frau entgegen, die mit den Worten „Oooo, da sind ja meine Blumen!“ ihre Hand nach meiner gewichtigen Schönheit ausstreckte. Ob dement oder rheinische Frohnatur, wurde mir nicht richtig klar, denn ich war damit beschäftigt, blitzschnell zu überlegen, ob ich der Dame „ihre“ Blumen überlassen sollte. Die Versuchung war groß, aber ich hielt es für unhöflich zuzulassen, dass mein besonders schöner Strauß in der übersichtlichen Kleinstadt herumgetragen und womöglich wiedererkannt wird.

Es war geplant, auf dem Weg nach Hause noch ein Ziel in Dormagen, das liegt in der Nähe von Köln, anzustreben: Da ich – vermutlich 2013 – im Café seitenweise eine (kleinere) Ausstellung machen werde, wollte ich die Gelegenheit nutzen und mal „vorbeischauen“. Mir war bekannt, dass der Weg vom Bahnhof zur Fußgängerzone mindestens zwei Kilometer beträgt, aber erstens sind wir gut zu Fuß und zweitens hielt ich die Wegbeschreibung für die typische Übertreibung jener Autofahrer, für die 500 Meter schon eine Wanderung bedeuten. Allerdings zeichnete sich der Dormagener Bahnhof nicht dadurch aus, deutlich auf komfortable Schließfächer hinzuweisen (es schien verdammtnochmal so, dass er keine hat). Schade, denn ich war davon ausgegangen, wenigstens das Hündchen anständig parken zu können. Es blieb uns also nichts anderes übrig, als mit allem Drumunddran mutig loszulaufen und erst einmal – positiv denken! – hinter jeder Ecke Dormagens Fußgängerzone zu erwarten. Ab und zu fragten wir einen Menschen, ob wir auf dem richtigen Weg sind; die jeweiligen Nebensätze – noch sehr weit, noch mindestens vier Ampeln – machten uns allerdings immer verzagter. Die 30°, ganz untypisch für einen September, drückten zusätzlich aufs Gepäck und auf die Stimmung. Und meine Blumenschönheit fing nun deutlich an zu schrumpeln, erste Einzelteile flogen schon schütter herum. Mein Sohn hatte Mitleid, und als wir, wie im Märchen, an einem Brunnen vorbeikamen, schlug er mir vor, die Blumen zwecks Auffrischung ins Wasser zu halten. Da kam mir eine Idee – von der sich erst im Laufe der Zeit herausstellen würde, ob sie gut oder böse ist: Ich beschloss, ihnen eine echte Kur zu gönnen. Blieb zu hoffen, dass sie weder Zerstörungsgelüsten anheim fallen noch in einer fremden Vase landen würden; und, nicht unwichtig: Das Brunnenbecken war in Teichgröße, und wenn der Strauß bei unserer Wiederkunft in der Mitte herumdümpeln würde, dann wäre auch das Fotostativ als Angel zu kurz.

Um einige Blumenkilo erleichtert, wanderten wir nun wieder frohgemut weiter, um endlich im Café seitenweise mit Eiskaffee und leckerem Flammkuchen unsere Energiespeicher wieder aufzufüllen. Sehr hübsches Café übrigens, mit Lesestoff zum Ausleihen während des Kaffeetrinkens oder zum Kaufen im Buchladen nebenan. Und mit Kunst an den Wänden.
Der Rückweg war natürlich begleitet von der Frage: „Na? Sindse noch da?“ Die Ecke, in der ich die Blumen abgeladen hatte, war leer. Ooooch. Aber, o Wunder, der Blumenstrauß war diagonal durchs Becken gesegelt und schwamm nicht nur komplett, sondern deutlich erfrischt und vor allem griffbereit in südöstlicher Ecke.

Die Dormagener sind offenbar sehr freundliche Menschen, die nicht alles gleich zerpflücken. Danke schön!










1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Liebe Frau Blauth,
das ist ja eine köstliche Geschichte, die Sie da erlebt haben. Nun können Sie Ihre sprachlichen Ambitionen über die Lyrik hinaus auch noch auf derartige kleine, aber denkwürdige sinnige Geschichtchen (hier als Glosse formuliert) erweitern – als poetische Kurzgeschichte, als Chaplinade (mit kleinen Zusätzen als Drehbuch geeignet!) oder als Stoff für ein Bilderbuch. Das Letztere fällt mir spontan ein beim täglichen Erleben unseres bilderbuchhungrigen Enkelkindes.
Ekkehard Drefke (als neu inspirierter Kommentator Ihrer Arbeiten).